Kämpfen gegen das Berufsverbot: Kundgebung auf dem Königsplatz im Mai 2021 mit Dirigent und Organist Hansjörg Albrecht (li.) sowie Bariton Christian Gerhaher. © Oliver Bodmer
Für die meisten mag die Corona-Pandemie wie ein böser Traum aus längst überwundener und/oder verdrängter Zeit sein. Für Künstlerinnen und Künstler ist sie nach wie vor präsent: Die Verbote und Schließungen von Spielstätten bedrohten vor allem die Freiberufler in ihrer Existenz. Viele wollten das nicht hinnehmen, so auch die Münchner Initiative „Aufstehen für die Kunst“. Sie hat nun eine Niederlage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof erlitten. In einer am Mittwoch zugestellten Entscheidung wurde die Popularklage gegen die Corona-Maßnahmen zurückgewiesen.
Mehrere Stars hatten sich für diese Initiative zusammengetan, nämlich Geigerin AnneSophie Mutter, die Sänger Christian Gerhaher, Kevin Conners und Wolfgang Ablinger-Sperrhacke sowie die Dirigenten Thomas Hengelbrock und Hansjörg Albrecht. Ihr Vorwurf: Das Veranstaltungsverbot habe sie in ihrer Kunstfreiheit und Berufsausübungsfreiheit verletzt. Wissenschaftliche Untersuchungen hätten ergeben, dass eine Untersagung von Konzerten und Aufführungen nicht gerechtfertigt gewesen sei. Außerdem wurde mit dem Gleichheitsgrundsatz argumentiert: Gottesdienste, Baumärkte und Buchhandlungen seien nicht von den einschneidenden Verboten betroffen gewesen.
Dass alle Verbote längst wieder aufgehoben wurden, ließ die Kunstinitiative nicht gelten: Bei einem ähnlichen Fall wie der Corona-Pandemie seien solche Maßnahmen wieder zu befürchten. Die Kulturschaffenden gingen dabei immer wieder an die Öffentlichkeit, mit Pressekonferenzen sowie im Oktober 2020 und im Mai 2021 mit Kundgebungen auf dem Münchner Königsplatz.
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof zieht sich in seiner Entscheidung weitgehend auf formelle Begründungen zurück. Vor allem weist er darauf hin, dass die Regelungen längst nicht mehr gelten. Die Popularklage sei unzulässig, „weil es inzwischen mangels objektiven Feststellungsinteresses an einem zulässigen Antragsgegenstand fehlt“, heißt es im Urteil. Es gebe keine „andauernde Rechtswirkung“. Außerdem sei nicht zu befürchten, dass es wieder zu ähnlichen Verboten komme. Die Maßnahmen zum Infektionsschutz, so das Gericht, seien schließlich schon während der Pandemie weiterentwickelt worden und könnten nicht auf künftige Pandemielagen übertragen werden.
Das bayerische Votum trifft auf heftige Kritik der Künstlerinnen und Künstler. „Mit dieser Entscheidung drückt sich das Gericht in offensichtlicher Weise um eine Positionierung zur Frage der Unvereinbarkeit der Kulturverbote mit dem Kulturstaatsprinzip sowie der Verhältnismäßigkeit der Komplettschließungen“, heißt es in einer Stellungnahme. Dies sei eine Folge „politischer Rücksichtnahmen“.
Besonders moniert wird, dass sich das bayerische Gericht so lange Zeit gelassen habe, nämlich viereinhalb Jahre. Der österreichische Verfassungsgerichtshof habe in nur einem Drittel der Zeit zweimal über entsprechende Vorschriften entschieden. Auf mehrfache Nachfrage sei der bayerischen Kunstinitiative „lapidar“ mitgeteilt worden, man könne wegen Arbeitsüberlastung nicht entscheiden. Damit versage der Bayerische Verfassungsgerichtshof in seiner Kernaufgabe, der Kontrolle der Exekutive, und verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip. „Eine Justiz, die ihre Kernaufgabe verfehlt und Verfahren lieber aussitzt statt entscheidet, macht sich selbst überflüssig.“MARKUS THIEL