Eine schwere schwarze Limousine, auf dem Rücksitz ein Mann mit maskenhaft verschlossenem Gesicht. „Und wer ist schuld, wenn es schiefgeht?“, fragt er plötzlich. Sein Mitarbeiter entgegnet: „Das fragen Sie doch auch sonst nicht, Herr Bundeskanzler.“ So beginnt der sehenswerte Fernsehfilm „An einem Tag im September“ . Er zeichnet das erste Zusammentreffen von Konrad Adenauer mit Ministerpräsident Charles de Gaulle in dessen Privathaus in Lothringen nach. Zu sehen ist die Produktion im linearen Fernsehen bei Arte morgen und im ZDF am kommenden Montag, jeweils um 20.15 Uhr. Schon jetzt kann sie im ZDF gestreamt werden.
Adenauer war sehr skeptisch, hatte doch der Franzose kurz nach dem Krieg eine Aufteilung Deutschlands in mehrere Teilstaaten befürwortet, außerdem hatte er die geplante Europäische Verteidigungsgemeinschaft torpediert und immer wieder das europäische Einigungsprojekt als einen Verrat an französischen Interessen angegriffen.
Dennoch fanden der Deutsche und der Franzose an diesem 14. September 1958 auf einer persönlichen Ebene zusammen. Und eben das schildert der Film von Kai Wessel. In den Hauptrollen glänzen Burghart Klaußner als Adenauer und Jean-Yves Berteloot als de Gaulle. „Man bekommt durch den Film und die Beschäftigung mit dem Stoff eine Ahnung davon, wie wichtig persönliche Beziehungen in der Politik sind“, so Klaußner nach den Dreharbeiten.
De Gaulle sprach zur Begrüßung Deutsch
Über den Ablauf der Begegnung sind einige Details bekannt. Adenauer verspätete sich, weil seine Wagenkolonne zunächst irrtümlich nicht de Gaulles Wohnort Colombey-les-Deux-Eglises ansteuerte, sondern das etwa 100 Kilometer entfernte Colombey-les-Belles. Als der Kanzler schließlich eintraf, ging de Gaulle sofort auf ihn zu, schüttelte ihm die Hand und sprach Deutsch – war er doch im Ersten Weltkrieg zweieinhalb Jahre in deutscher Kriegsgefangenschaft gewesen. Allerdings waren seine Kenntnisse mittlerweile etwas eingerostet. Statt „Wie geht es Ihnen?“ fragte er seinen Gast: „Wie gehen Sie?“ Woraufhin dieser verdutzt erwiderte: „Zu Fuß.“
Wann genau es zwischen den beiden höchst unterschiedlichen Männern an jenem Tag klick machte, kann kein Historiker mit Sicherheit sagen. Vermutlich spielte ihr gemeinsamer katholischer Glaube eine Rolle, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen abendländischen Erbe, das zurückging auf das Reich Karls des Großen. Auch teilten beide Staatsmänner bei allem Machtkalkül Grundüberzeugungen, die sie auch im Krieg und unter dem Druck der nationalsozialistischen Diktatur nicht preisgegeben hatten. Gleichwohl stand Drehbuchautor Fred Breinersdorfer vor der Aufgabe, eine schlüssige Dramaturgie für seinen Neunzigminüter zu finden.
Er schmückte dafür unter anderem die Geschichte von de Gaulles Köchin Louise aus, die sich damals dagegen sträubte, für die verhassten Deutschen zu kochen. Vor allem aber rückte Breinersdorfer de Gaulles Ehefrau Yvonne, dargestellt von Hélène Alexandridis, mehr in Zentrum. Im Film ist es letztlich sie, die das Eis zwischen de Gaulle und Adenauer bricht, indem sie das Gespräch auf Schicksalsschläge aus ihrem Privatleben lenkt. Allerdings erweckt der Film den Eindruck, als wären Deutsche und Franzosen erst im Jahr 1958 in Gestalt von Adenauer und de Gaulle erstmals darangegangen, das beiderseitige Verhältnis zu kitten. Das ist falsch. Anders als im Film dargestellt, bewarfen französische Dorfbewohner Adenauers Limousine auch nicht mit Eiern, sondern winkten ihm freundlich zu.
Vor de Gaulle hatten schon zwei andere große Franzosen dem „Erbfeind“ die Hand gereicht – Jean Monnet und Robert Schuman, die Architekten der 1951 gegründeten Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, des Vorläufers der heutigen EU. Und 1957 waren die Römischen Verträge unterzeichnet worden, die die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) begründeten. Ermöglicht hatte das eine enge Zusammenarbeit Adenauers mit dem damaligen französischen Ministerpräsidenten Guy Mollet, der heute zu Unrecht völlig vergessen ist.
Der Franzose war ein Gegner der EWG
Dass de Gaulle ein erklärter Gegner der EWG war, weil er in Institutionen wie der Brüsseler Kommission und dem Europäischen Parlament eine inakzeptable Beschneidung der französischen Souveränität sah, klingt im Film nur ganz am Rande an. Der Abschluss des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags war 1963 hochumstritten, weil ihn de Gaulle als Grundlage einer strategischen Allianz begriff, die Frankreich dank des wirtschaftlichen Gewichts der jungen Bundesrepublik zurück zu alter Größe verhelfen sollte. Deutschland bekannte sich jedoch zu USA und Nato, was der Franzose scharf kritisierte.
Dies schmälert nicht sein historisches Verdienst, die gerade erst begonnene Annäherung zwischen den beiden ehemals verfeindeten Nationen zur engen Partnerschaft ausgebaut zu haben. Generationen haben davon bis heute profitiert.CHRISTOPH DRIESSEN