„Verlasst eure Komfortzone“

von Redaktion

„Adolescence“-Star Owen Cooper ist mit 15 der jüngste Emmy-Gewinner

Das gab es noch nie – mit 13 Preisen ist die Satire „The Studio“ (Apple TV+) der große Gewinner der diesjährigen Emmys. Die mit Stars gespickte Serie erzählt vom neuen Chef eines Filmproduktionsstudios, der verzweifelt den Spagat zwischen Kunst und Kommerz schaffen will. Hauptdarsteller, Co-Autor und Co-Regisseur Seth Rogen gewann in diesen Kategorien ebenfalls den begehrten Fernsehpreis. Der Krankenhausserie „The Pitt“ gelang eine große Überraschung. Die in Echtzeit erzählte Reihe setzte sich in der Königskategorie Beste Dramaserie überraschend durch, und zwar gegen die favorisierte Dystopie „Severance“ (Apple TV+) und die beliebte Serie „The White Lotus“ (Sky Atlantic). Sie kam auf insgesamt fünf Auszeichnungen. „The Pitt“ ist in Deutschland noch ohne Sendeplatz. Hauptdarsteller Noah Wyle gelang zudem das größte Comeback des Abends. Er war zwischen 1995 und 1999 fünfmal in Folge erfolglos als John Carter in „Emergency Room“ nominiert worden und konnte nun in der Hauptrolle endlich die Trophäe mit nach Hause nehmen.

Beste Miniserie wurde „Adolescence“ (Netflix). Das fesselnde Drama über Jugendgewalt erzählt in vier Teilen vom Mord an einer Schülerin durch einen anderen Teenager. Jungdarsteller Owen Cooper gewann für seine komplexe Darstellung des Täters den Preis als bester Nebendarsteller in einer Miniserie. Der 15-Jährige ist damit der jüngste männliche Schauspieler, der je einen Emmy bekam. In seiner rührenden Dankesrede sage Owen: „Vor drei Jahren war ich noch ein Niemand, jetzt bin ich hier.“ Seine Botschaft an alle jungen Menschen: „Verlasst eure Komfortzone ein wenig – wen kümmert es, wenn ihr euch blamiert?“ Sein Serienvater Stephen Graham bekam die Auszeichnung für die beste Hauptrolle in einer Miniserie. Graham war auch als Autor und Produzent an „Adolescence“ beteiligt und wurde dafür ebenfalls prämiert. Insgesamt erhielt die Produktion acht Emmys.

Für Gesprächsstoff sorgte Schauspielerin Hannah Einbinder, die für „Hacks“ (im Streaming bei RTL+ und Netflix) nach drei erfolglosen Nominierungen erstmals den Preis als beste Nebendarstellerin in einer Comedy gewann. Sie rief am Ende ihrer Rede: „Go Birds! Fuck ICE! And Free Palestine!“ – ein Schlachtruf für das Footballteam Philadelphia Eagles sowie die politischen Parolen „Scheiß auf ICE!“ sowie „Freiheit für Palästina!“ Während in den USA das Schimpfwort zur umstrittenen Einwanderungspolizei ausgeblendet wurde, zeigten Clips online den unveränderten Ausschnitt beim kanadischen Sender CTV2.

Late-Night-Moderator Stephen Colbert bekam an gleich zwei Stellen lang anhaltenden Applaus. Vor zwei Monaten war das Ende seiner „Late Show“ verkündet worden, die in den USA wie auch die Emmy-Verleihung beim eher konservativen Sender CBS läuft. Das für Mai nächsten Jahres angekündigte Aus hatte Kritik ausgelöst, weil Colbert als Kritiker von Donald Trump gilt und viele Branchenkenner vermuteten, dass CBS aus Rücksicht auf den Präsidenten gehandelt habe. Als Colbert zu Beginn der Show einen Preis vergab, sagte der 61-Jährige lachend: „Wenn ich gerade eure Aufmerksamkeit habe: Stellt irgendjemand hier neue Mitarbeiter ein?“

Später bekam er den Emmy für die beste Talkshow und wurde ernster. „Manchmal weiß man erst wirklich, wie sehr man etwas geliebt hat, wenn man das Gefühl hat, dass man es verlieren könnte“, sagte Colbert und ließ dabei offen, ob er seine eigene Sendung oder den Zustand der Demokratie in den USA meinte. Er ergänzte: „Ich habe mein Land niemals verzweifelter geliebt. Gott segne Amerika. Bleibt stark, seid mutig.“

Ansonsten fiel angesichts der üblichen Danksagungen für Familie, Kollegen und Agenten auf, wie sehr Hollywood auf allzu regierungskritische Aussagen verzichtet. Schon die Verpflichtung von Nate Bargatze als Moderator war dafür ein Zeichen. Er gilt als ausdrücklich unpolitischer Comedian, der im vergangenen Jahr mit sympathischem Alltagshumor über einen Durchschnittstypen in der modernen Welt große Erfolge feiert. Der 46-Jährige eröffnete die Show mit einer verunglückten Idee. Bargatze kündigte an, 100 000 Dollar an die Kinder- und Jugendhilfe vom „Boys and Girls Club of America“ spenden zu wollen – sollte aber eine Dankesrede länger als 45 Sekunden dauern, werde er für jede zusätzliche Sekunde 1000 Dollar von der Spende abziehen. Für jede Sekunde, die die Ausgezeichneten in ihren Reden einsparten, würde er 1000 Dollar mehr zahlen, so der Moderator weiter. Die Produzenten blendeten bei vielen Reden den aktuellen Spendenstand ein und lenkten damit oft von den rührenden Momenten der Danksagungen ab.

Online beschwerten sich viele Zuschauerinnen und Zuschauer, die Idee wirke wie eine Beleidigung für Fans von Preisgalas, die sich gerne die Reden anschauen. Am Ende stand der Zähler gar im Minus. Schließlich verkündete Bargatze, dass er doch 250 000 Dollar spenden werde und der Sender weitere 100 000 Dollar beisteuere. Er habe die Idee ohnehin nicht gutgeheißen, beteuerte der Moderator des Abends.CHRISTIAN FAHRENBACH

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