Menschenversteher mit Herz

von Redaktion

Jahrhundert-Journalist Georg Stefan Troller mit 103 Jahren in Paris gestorben

Georg Stefan Troller nannte sich selbst einen suchenden Heimatlosen. © WDR/dpa

Georg Stefan Troller spürte dem Schicksal anderer nach. Seine freche Direktheit machte ihn zu einem der bedeutendsten Journalisten und Dokumentarfilmer der Nachkriegszeit des deutschen Fernsehens. Er sprach mit Marlene Dietrich, Ingrid Bergman und Konrad Adenauer ebenso wie mit einem querschnittsgelähmten Vietnam-Veteranen, der den Mut hatte, sich in seiner Verletzlichkeit nackt in der Badewanne filmen zu lassen. Georg Stefan Troller führte rund 1700 Interviews und schuf mehr als 170 Filme über Menschen und ihre großen wie kleinen Lebensgeschichten. Nun ist der Österreicher und US-Staatsbürger jüdischer Herkunft im Alter von 103 Jahren gestorben, wie seine Tochter Fenn Troller in Paris mitteilte.

Schon in den Sechzigerjahren stellte er in Interviews mit Prominenten der französischen Kulturszene Fragen, die alles andere als gewöhnlich waren. „Sind Sie glücklich mit Ihrem Leben?“, wollte er etwa wissen. Das war neu, unerhört, aber vor allem spannend, denn weltbekannte Stars antworteten oft berührend offen. Mit seinem unverwechselbaren Stil und dem „human Touch“, den er als Erster ins Fernsehen brachte, wurde er zu einer Legende des deutschen Journalismus – und zum Vorbild ganzer Generationen.

In einem Interview zu seinem 100. Geburtstag sagte er dem Bayerischen Rundfunk, er habe in die Menschen „eintauchen“ wollen, um zu verstehen, wie sie zu dem wurden, was sie sind. Immer suchte er einen subjektiven Zugang zu ihnen, manchmal auf recht unverfrorene Art und Weise. Die Schauspielerin Lauren Hutton fragte er beispielsweise, warum sie ihre Zähne nie habe richten lassen, und wurde mit einem überraschten Lächeln belohnt. Die Amerikanerin war mit ihrer Zahnlücke einst auch eines der bestbezahlten Supermodels der Welt. Troller machte die persönliche Sicht der Dinge zum Hauptreiz seiner mehrfach ausgezeichneten Sendungen, wie dem „Pariser Journal“ im Westdeutschen Rundfunk (WDR) mit prominenten Gästen aus der französischen Metropole und der ZDF-Sendereihe „Personenbeschreibung“ mit psychologischen Porträts von Menschen aus vielen Ländern und unterschiedlicher Geschichte. Von A wie dem Boxer Muhammad Ali über K wie Edmond Kaiser, Gründer des Kinderhilfswerks Terre des Hommes, der ihm das Elend der Leprakranken in Indien vor Augen führte, bis Z wie Elmo Zumwalt, der mitverantwortlich war für das Versprühen von Entlaubungsmitteln im Vietnam- Krieg.

Geboren am 10. Dezember 1921 in Wien, flüchtete der Sohn einer jüdischen Pelzhändlerfamilie 1938 vor den Nazis zunächst in die Tschechoslowakei, dann nach Frank-reich und schließlich nach Amerika. Im Jahr 1943 wurde er von der US-Armee zum Kriegsdienst eingezogen, im April 1945 war er an der Befreiung des KZ Dachau beteiligt. Wegen seiner Deutschkenntnisse wurde er von den Amerikanern mit der Vernehmung von Kriegsgefangenen beauftragt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs begann er in den USA Anglistik und Theater zu studieren, bevor er an die Sorbonne nach Paris wechselte. Dort fand er seine Berufung als Kulturkorrespondent und TV-Reporter.

Mehr als 70 Jahre lebte Georg Stefan Troller in Frankreich; seine zweite Frau starb 2018 und wurde in Paris beerdigt. Seine älteste Tochter Fenn erinnerte sich an eine Kindheit „in einem kosmopolitischen Umfeld“, in dem sie umgeben „von Worten, Sprachen, Büchern und vielseitigen Kunstwerken“ aufwuchs. „Unser Leben wurde geprägt von Dreharbeiten, Treffen mit Familie und Freunden aus aller Welt sowie Urlaub in unserem von einem Wassergraben umgebenen Steinhaus in der Normandie.“ Ihre zufällige Entdeckung von Fotos, die ihr Vater in den Fünfzigerjahren aufgenommen hatte, habe es ihm ermöglicht, sein Erinnerungsbuch „Ein Traum von Paris“ zu veröffentlichen und am Ende seines Lebens als großer Fotograf anerkannt zu werden. Georg Stefan Trollers Hauptantriebskraft war nach eigener Aussage die Überwindung seiner durch Flucht und Verfolgung verstärkten Menschenangst. Indem er ausgewählten Menschen die Fragen stellte, die er an sich selbst hatte, erweiterte er seinen eigenen Erfahrungshorizont als Filmemacher. Er habe seine Arbeit zum Überleben gebraucht, sagte er einst. Interviews seien letztlich nichts anderes als Selbstgespräche gewesen. Sein persönliches Lebensresümee: „Ich bin zu dem geworden, wozu ich innerlich vorbestimmt war“, so Troller. „Was ich mir erträumt habe, ist wahr geworden.“ SABINE GLAUBITZ

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