INTERVIEW ZUM „TATORT“

„Mord lässt uns keine Ruhe“

von Redaktion

So arbeitet die Münchner Polizei an Cold Cases

Kriminalhauptkommissar Werner Kraus. © Polizeipräsidium München

Szene aus dem Frankfurter „Tatort“: Die Kollegen Maryam Azadi (Melika Foroutan) und Hamza Kulina (Edin Hasanović) wühlen sich durch alte Akten. © Daniel Dornhöfer/HR

Ein Serienkiller, der erst nach seinem Tod in den Fokus der Ermittler gerät, zwei Kommissare, die sich mit der Mission durch Aktenberge wühlen, den Angehörigen der Opfer Jahrzehnte nach der Tat Gewissheit zu schenken. Das neue „Tatort“-Team aus Frankfurt am Main hat mit der Auftaktepisode „Dunkelheit“ viel Licht in die Ermittlungen bei sogenannten Cold Cases gebracht. Doch wie nah ist die Geschichte an der Realität? Arbeitet die Münchner Polizei ähnlich wie die Kollegen im ARD-Sonntagskrimi? Wir haben bei Kriminalhauptkommissar Werner Kraus nachgefragt.

Herr Kraus, wann spricht man von einem Cold Case?

Wir haben früher immer Altfall gesagt. Der Begriff Cold Case hat sich erst im Laufe der Zeit etabliert. Der klassische Cold Case ist ein Fall, bei dem man alles ausermittelt hat und keine neuen Ansatzpunkte mehr findet, an denen man weiterkommt. Die Folge ist, dass die Akte erst mal geschlossen wird. Nachdem das aber in der Regel Fälle sind, deren Delikte nicht verjähren wie beispielsweise Mord, werden sie immer wieder hervorgeholt und beispielsweise mit den Mitteln der sich ständig weiterentwickelnden Spurenfeststellung neu überprüft.

Gibt es dafür eine extra Abteilung?

Der aktuelle Stand in München ist, dass es keine eigene Abteilung gibt, die sich nur Cold Cases widmet. Dieser Bereich ist im Kommissariat für die Aufklärung von Tötungsdelikten mit eingegliedert. Da gibt es dann Sachbearbeiter, denen die verschiedenen Altfälle zugeteilt sind und die sich immer wieder damit befassen.

Die Aschaffenburger Kriminalpolizei hat vor fünf Jahren die bayernweit einzige Cold-Case-Einheit gegründet. Warum ist es so wichtig, an diesen Fällen dranzubleiben?

Mord ist das schlimmste Delikt, das wir kennen. Und der Staat akzeptiert nicht, dass ein Mensch gewaltsam zu Tode kommt und nicht alles dafür getan wird, um diesen Fall aufzuklären. Das ist zum einen ein wichtiges Signal für die Öffentlichkeit, zum anderen geht es aber primär auch um die Angehörigen, die sich endlich Gewissheit wünschen. Familie, Freunde oder das enge Umfeld dürfen nicht das Gefühl haben, dass es egal ist, dass da ein Mensch gestorben ist.

Erinnern Sie sich an einen sehr lang zurückliegenden Cold Case, der in München geklärt werden konnte?

Ja, wir hatten 2023 einen tatverdächtigen Briten, den wir hier nach 44 Jahren festnehmen konnten. Das Ganze ging auch vor Gericht. Obwohl wir alle davon überzeugt waren, dass er der Täter war, ist er letztendlich freigesprochen worden. Wenn etwas so lange zurückliegt, ist die Beweisführung schwierig. Da geht dann das Gericht auch mal von Totschlag statt von Mord aus. Und Totschlag verjährt im Gegensatz zu Mord nach 20 Jahren.

Ist so ein Cold Case nicht auch eine große mentale Belastung für die ermittelnden Kollegen?

So ein Fall, mit dem man jahrelang befasst ist und bei dem man akribisch ermittelt hat, der nagt natürlich auch an einem und lässt einem keine Ruhe. Da ist die Motivation schon groß, die letzte entscheidende Spur, den letzten Hinweis zu finden, der den Schuldigen oder die Schuldige vor Gericht bringt.

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