Auf der Suche nach Wahrheit

von Redaktion

Der ARD-Film „Die Nichte des Polizisten“ ist angelehnt an den Fall Michèle Kiesewetter

Wurde 2007 ermordet: Michèle Kiesewetter. © dpa

Sehr überzeugend in ihrer ersten Hauptrolle: Magdalena Laubisch, hier mit Max von der Groeben als Kollegen. © SWR

Bevor der Film startet, gibt es einen Hinweis: „Diese Geschichte ist fiktional“, heißt es da in einer Einblendung. „Aber nicht nur. Auch das Mögliche, Verlorene und Vergessene wird erzählt.“ Und genauso ist es. „Die Nichte des Polizisten“, zu sehen heute um20.15 Uhr im Ersten, ist einerseits stark angelehnt an die Geschichte der Polizistin Michèle Kiesewetter, die im April des Jahres 2007 in Heilbronn kaltblütig erschossen wurde. Zugeschrieben wird der Mord dem sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU), auch wenn er nicht ins Muster der rechtsradikalen Gruppe um Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt passt, die über Jahre hinweg acht türkischstämmige und einen griechischstämmigen Kleinunternehmer ermordet hatte. Die Bundesanwaltschaft hält Kiesewetter für ein „Zufallsopfer“ – die Terroristen hätten sie angegriffen, weil sie als Polizistin für den von ihnen verhassten Staat stand.

Andererseits nimmt sich der Film die Freiheit der Fiktion. Er stellt die offizielle Version der Ermittlungsbehörden infrage, sucht nach eigenen Antworten und zeichnet in diesem Rahmen ein Bild der Polizei, in deren Reihen „alle Schattierungen politischer Natur“ vorhanden sind, wie es die Produzentin und Mitautorin des Films, Gabriela Sperl, im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt. „Es gibt in den Strukturen der Polizei auch Rechtsradikale“, sagt sie. „Das wird nur gern unter den Tisch gekehrt.“ Rebecca Henselmann, so heißt die Titelfigur im Film, will aber die Sachen offenlegen, die falsch laufen im Apparat – und bezahlt dafür mit ihrem Leben.

Mit dem brutalen Mord beginnt das von Regisseur Dustin Loose dicht inszenierte Drama. Die junge Polizistin (sehr stark von Magdalena Laubisch gespielt) sitzt mit einem Kollegen in ihrem Dienstwagen und macht Mittagspause. Wie aus dem Nichts kommen zwei Gestalten ans Auto und feuern los. In Rückblenden wird fortan erzählt, wie die junge, ehrgeizige Frau aus Thüringen bei einer baden-württembergischen Spezialeinheit der Polizei anfängt und ein erklärtes Ziel vor Augen hat: Sie will ins Stammpersonal der Elitetruppe und schreckt dafür weder vor quälenden Trainingsstunden noch vor Saufgelagen mit den Kollegen zurück. Viel zu schnell wird sie bei verdeckten Operationen gegen die Drogenszene eingesetzt und hegt Zweifel an der Integrität mancher Kollegen. Je mehr sie aus der Deckung kommt, desto gefährlicher wird es für sie – am Ende ist sie tot.

Im Film ist nichts zu sehen und zu hören von „den beiden Uwes“, wie Gabriela Sperl das Zentrum des NSU, die Rechtsextremen Böhnhardt und Mundlos, nennt. Aus gutem Grund: „Wir wollten nach 18 Jahren das herrschende Narrativ in Frage stellen, dass die beiden allein den Mord begangen haben. Oder es zufällig wegen der Waffen getan haben. Davon hatten sie genug. Es geht um die kriminellen Verstrickungen von Organisierter Kriminalität und Rechtsextremen, die bis in die Polizei hineinreichen. Uns allen, die wir diesen Film gedreht haben, ist es ein großes Anliegen, dass man diesen Diskurs noch mal neu öffnet. Das wird nach der Ausstrahlung hoffentlich passieren.“

Kontakt zur Familie von Michèle Kiesewetter haben die Macher nicht gesucht. „Nein“, sagt Sperl. „Die Familie ist so traumatisiert und hat über so viele Jahre miterleben müssen, dass es keine befriedigende Antwort auf die Frage gab, warum ihre Tochter sterben musste. Die Angehörigen haben nie die Öffentlichkeit gesucht. Warum hätten wir sie mit Fragen quälen sollen?“ Der Fokus des Films habe von Anfang an auf dem Aufzeigen von rechten Strukturen gelegen, die sich ideologisch immer weiter ausgebreitet hätten und auf die man immer noch nicht schauen wolle. „Und natürlich hoffen wir, dass die Wertschätzung und der Respekt, den wir Michèle Kiesewetter mit unserem Film zollen, für die Familie eine Möglichkeit ist der Heilung, zumindest der Erleichterung.“ STEFANIE THYSSEN

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