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von Redaktion

Netflix zeigt ab heute eine schonungslose Doku über den Rapper Haftbefehl und seine Dämonen – produziert hat Elyas M‘Barek

Große Liebe, großer Schmerz: Musiker Aykut Anhan mit Ehefrau Nina, die in der Doku sagt, dass „Haftbefehl schon einiges zerstört“ habe. © Netflix

Straßenkriminalität, Ruhm, Drogen, eine schwierige Familiengeschichte, Depressionen – das sind Zutaten einer Dokumentation über den Deutsch-Rapper Haftbefehl. „Babo – Die Haftbefehl-Story“ ist ab heute auf Netflix zu sehen. Dabei ist der Film keine bedingungslose Huldigung des 39-jährigen Aykut Anhan, wie Haftbefehl eigentlich heißt. Er spannt einen Bogen vom Offenbacher Hochhausviertel Mainpark, in dem Anhan aufwächst, über seinen kometenhaften Aufstieg bis hin zu psychischen Problemen und Drogenkonsum, die fast in den Tod führen – schonungslos, bisweilen verstörend. Wie seine oft brachialen Songs.

Die Netflix-Doku nimmt mit nach Frankfurt, Istanbul, zeigt ekstatische Massen auf dem Frauenfeld-Festival in der Schweiz, lässt andere Musik-Größen zu Wort kommen – den inzwischen gestorbenen Rapper Xatar, Moses Pelham, Jan Delay. Sie attestieren Haftbefehl „wahnsinnige Energie“, sprechen vom „König“, vom größten Künstler, den die Deutschrap-Szene hervorbrachte. Und da sind Bilder vom schockierenden Auftritt 2022 in Mannheim, als sich Anhan kaum auf den Beinen halten konnte, vom Aufwachen auf der Intensivstation nach einem Drogenexzess. Für die Macher des Films war nach Mannheim erst mal nicht klar, wie es weitergeht. „Es ist kein Geheimnis, die Doku stand mehrere Male vor dem Abbruch“, erzählt Juan Moreno. Er entlarvte einst den Geschichten-Fälscher Claas Relotius, nun führte der in Hanau bei Offenbach aufgewachsene Moreno gemeinsam mit Sinan Sevinç („Split Second“) Regie.

Rund zwei Jahre begleiteten die beiden Haftbefehl immer wieder mit der Kamera – bis November 2024. Der Film geht tief ins Private mit Aufnahmen aus Anhans Kindheit. Der Suizid seines Vaters wird thematisiert. Anhans Ehefrau berichtet vom schwierigen Familienleben mit ihm, ist oft den Tränen nahe, sagt: „Den Aykut liebe ich, den Haftbefehl nicht.“ „Der Film nimmt einen mit, und er schockt“, sagt Elyas M‘Barek („Fack ju Göhte“). „Es ist wahrscheinlich die schonungsloseste Musiker-Doku, die ich kenne.“ M‘Barek hat sie mit Pacco-Luca Nitsche produziert und sagt: „Wir wollten ihm ein Denkmal setzen, unsere Liebe zu ihm als Künstler zum Ausdruck bringen, aber trotzdem das Publikum nicht belügen. Das war auch Aykuts Wunsch.“

Ausgangspunkt waren Drehbücher für eine Serie, die der Rapper vor rund vier Jahren M‘Barek schickte. „Er wollte sein Leben fiktional erzählen und ich sollte seinen Vater spielen“, erinnert er sich. Er habe offen gesagt, dass er die Drehbücher nicht für angemessen halte, sie seiner Geschichte und ihm als Künstler nicht gerecht würden. M‘Barek empfahl stattdessen eine Dokumentation. „Er hat sofort beschlossen, dass ich die Doku produzieren soll.“

Gerade im Entertainment werde viel zu selten über Sucht oder Depression gesprochen, sagt M‘Barek. „Was mit Menschen passieren kann, die permanent im Rampenlicht stehen – das wird oft ausgeblendet. Der Film zeigt, dass hinter Glanz und Glamour oft große Tragik liegt.“ Es wird deutlich, dass hinter dem Rapper ein sensibler Mensch steckt – einer, der zu kämpfen hat, einer, der überrascht, weil er Musik von Reinhard Mey mag. Läuft die Doku Gefahr, dass Anhans Verfehlungen entschuldigt werden? Regisseur Moreno sagt: „Der Erste, der diese Entschuldigung nicht akzeptiert, ist Aykut selbst.“ CHRISTIAN SCHULTZ

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