Übt die großen Gesten: Nina Chuba mit ihren Tänzerinnen. © Martin Hangen
Sogar in einer ausverkauften Zehntausender-Halle kann man mutterseelenallein sein. Zumindest wirkt Nina Chuba so, als sie auf einem Podest zehn Meter in die Höhe fährt und dort das Titellied ihres neuen Albums „Ich lieb mich, ich lieb mich nicht“ singt. Ohne Autotune-Effekt, also ein bisschen schief, aber sehr sympathisch. Jetzt kommt sie wieder runter und sagt erst mal: „Ähm.“ So wie sie jede ihrer Ansagen einleitet, mit einer Grundschüchternheit, die sich nicht spielen lässt. „Ich stehe hier gerade auf einer Bühne, aber in vielen Situationen fühle ich mich ganz unsicher. Das geht euch doch sicher auch so! Wollen wir uns kollektiv unsicher fühlen?“ Tosender Jubel aus tausenden Kehlen: nichts lieber als das! Und alle gemeinsam schmettern das Lied, das jetzt kommen muss: „Unsicher“.
Nina Chuba ist Deutschlands Pop-Sensation Nummer eins. Im kommenden Sommer wird sie drei Konzerte hintereinander in München spielen. Aber gleichzeitig wirkt sie, als sei das alles eine Nummer zu groß für sie. Als sei sie ein Star-Azubi, der die großen Gesten noch übt. Das führt zu witzigen Situationen, etwa wenn sie sich auf der Bühne das Make-up richten lässt. „Die Nati pudert mich kurz ab und richtet mir die Haare. Sagt hallo zu Nati!“ Oder wenn sie beim Bombast-Drama „Glatteis“ mit seinen Riefenstahl-Scheinwerferbalken ruft: „Ich will, dass Ihr so hoch hüpft, wie Ihr könnt! Und dabei schön auf euren Nachbarn achten!“
Nina Chuba ist noch jung, und sie singt übers Jungsein. Befeuert von einer famosen Live-Band und sinem Sound zwischen Dancehall und Ballade thematisiert sie dabei die gleichen Gefühle, die auch ihre Fans umtreiben. Die sind heute zu 70 Prozent weiblich und oft mit ihren Eltern angereist. Hundertfach sieht man Kopien von Ninas „Buns & Braids“-Frisur mit dem Doppel-Dutt und den Zöpfchen in der Olympiahalle. Und viel, viel Glitzer um die Augen.
Zwischen Selbstinszenierung und Selbstzweifeln schwankt auch die Sängerin. Sie ist gesponsert von einer bekannten Beauty-Marke und hüpft mit ihren zwei Tänzerinnen in einem Outfit über die Bühne, das nur aus einem Hauch weißem Tüll und einem roten Strapshalter besteht. Aber dann bezaubert sie womöglich besorgte Erziehungsberechtigte wieder mit Ansagen wie: „Meldet euch mal wieder bei eurer Oma!“
Das Konzert startet überraschend mit violettem Konfetti aus der Kanone – und „Wildberry Lillet“. Den größten Hit als Eröffnungssong schnell hinter sich bringen? Das ist ein Statement. Chuba will offenbar weg von dem niedlichen Image, das ihr erster Erfolg ihr beschert hat. So ganz überzeugend sind Songs wie „Malediven“ allerdings auch nicht, in denen sie sich als sexy Vamp inszeniert, aber halt doch vor allem niedlich wirkt. Ganz anders sieht es mit „Mama shoot“ aus, einem Reggaeton „für meine Mädels“, in dem es zum mächtigem Bass darum geht, dass junge Frauen sich ruhig was trauen sollen. In die gleiche Kerbe schlagen „Rage Girl“, „Fucked up“ und „Ich hass dich“ mit Esther Graf: Lasst euch nichts gefallen! Bei den Hits „Mangos mit Chili“ und „Fata Morgana“ (bei dem sie anfangs von einem riesigen weißen Kokon umhüllt ist) rasten dann Teenager wie Erwachsene aus, und spätestens jetzt kann sich die Sängerin wirklich nicht mehr allein fühlen.
Am Ende zeigt sie sich noch einmal fassungslos darüber, wie weit sie gekommen ist. „Vor fünf Jahren habe ich hier noch vor 200 Leuten gespielt.“ Bevor die Konfetti-Kanone ein letztes Mal bollert, erklärt Nina Chuba, dass sie so viele liebe Menschen schon lange nicht mehr gesehen habe: „Nach der Tour will ich erst mal wieder heim und mich ausruhen.“ Die Ausbildung zum Star, sie frisst nun mal Zeit.JOHANNES LÖHR