Die Zusammenkunft in einem Münchner Hotel, die Vorstellung der Diskutanten als „Protagonisten des freien Wortes“ – ein bisschen wirkt das wie das konspirative Treffen einer Gruppe, die sich in einer Art Abwehrkampf sieht. Es geht gegen die „links-grüne Meinungsmacht“, so der Titel des Buches von Julia Ruhs, das hier vorgestellt werden soll, auf dem Cover ist ergänzend vom „herrschenden linken Zeitgeist“ die Rede, der „hinterfragt“ werden soll. Der herrscht hier an diesem Dienstagabend sicher nicht, denn der Veranstalter, Langen-Müller-Verleger Michael Fleissner, hat der 31-jährigen BR-Journalistin ein „Urgestein“ des Münchner Senders, den Ex-Chefredakteur Sigmund Gottlieb (74), zur Seite gesetzt – definitiv auch kein Linker.
Moderator Dominik Pförringer wünscht sich einen Diskurs, kein „Da gebe ich Ihnen recht!“ Sein Wunsch geht – so viel vorweg – nicht in Erfüllung, man ist sich einig auf dem Podium. Ruhs, die – auch intern – mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, eine Folge ihres Reportageformats „Klar“ über die Asylpolitik verletze „journalistische Grundsätze“, erläutert, wie sie als Volontärin des Bayerischen Rundfunks am „journalistischen Selbstverständnis“ zu zweifeln begann. Angefangen habe alles in Zeiten von Corona, die Berichterstattung über die Maßnahmen habe sie, so ihre Wahrnehmung, als „Öffentlichkeitsarbeit“ der Öffentlich-Rechtlichen für die Regierung empfunden: „Kritik daran kam zu kurz“. Und nicht nur das, ganz generell sei der Journalismus inzwischen viel zu weit weg von den Menschen, zu links eben.
Das bestätigt Sigmund Gottlieb, der Ruhs‘ Buch unter anderem als „mutig“ lobt, nur zu gern. Früher seien in der ARD, zumindest auf der Ebene der Chefredakteure, auch „bürgerliche“ Stimmen zu hören gewesen. Vorbei. Inzwischen, da ist er sich sicher, herrsche verbreitet eine „Gefallsucht“, es werde, so sein Vorwurf, „kein Programm für die Zuschauer mehr gemacht, sondern für die Kollegen“. Konformismus total in den Redaktionen, keine Widerrede? „Es dreht sich alles darum, wie die eigene Bubble auf einen schaut“, hat Julia Ruhs beobachtet.
Der BR-Ex-Chefredakteur glaubt den Grund für die politische Einstellung junger Journalistinnen und Journalisten zu kennen: „Sie wollen Dinge verändern!“ Dann wäre es ja kein Wunder, dass zwischen zwei Drittel und drei Viertel von ihnen einer linken Partei nahestünden. Ist das schon der auch im Buch kritisierte „linke Zeitgeist“? Ja, meint Gottlieb, und genau der, so seine These, führe dazu, dass man innerhalb (und auch außerhalb?) der Branche seine Meinung nicht mehr frei äußere, aus Angst um den Job, aus Angst vor dem „Mainstream“. Ruhs formuliert es so: „Man weiß schon, bei welchen Aussagen man vorsichtig sein muss.“
CSU-Mitglied Gottlieb, der es „pillepalle“ findet, dass Medienleute keiner Partei angehören sollten, wünscht sich als erste Maßnahme einen anderen Blick auf die politische Farbenlehre. „Konservativ“ werde immer öfter mit „rechts“ oder „rechtsextrem“ gleichgesetzt. Auch Ruhs sieht sich in eine Ecke gedrängt und versichert, dass sie „mit der AfD nichts am Hut“ habe. Die BR-Frau fürchtet um die Akzeptanz ihres Berufsstandes generell, sie sieht Menschen abwandern zu Influencern auf Social Media, die nicht nach journalistischen Standards arbeiteten. Die klassischen Medien seien „ein Schatz“, den es zu bewahren gelte – vorausgesetzt, es gelinge, auch die wieder zu erreichen, die zu alternativen Medien abgewandert seien.
Am Ende Optimismus beim „Urgestein“, das „Bewusstsein, dass sich etwas ändern muss, ist in den Chefetagen sehr ausgeprägt“, weiß Sigmund Gottlieb: „Dieses Ungleichgewicht darf nicht so bleiben.“ Vielleicht, so die Hoffnung, hilft ja die Abkehr von einer Personalpolitik, die Bachelor oder Master (womöglich an einer „linken Uni“?) für den Start in den (Medien-)Job voraussetzt. „Man muss für ein Volontariat nicht mehr studiert haben, das finde ich gut“, sagt Julia Ruhs. Dann, irgendwann, in einer in einem anderen Sinn diversen Zukunft, kehrt vielleicht auch der „verlorene Glaube an die Meinungsfreiheit“ zurück.RUDOLF OGIERMANN