Treuer Manager: Adam Sandler (re.) als Ron. © P. Mountain
Jay Kelly (George Clooney) schaut in den Spiegel. Natürlich tut er das. Denn was wäre ein Film über Selbstreflexion ohne den obligatorischen Blick in den Spiegel? Er sieht einen gealterten Filmstar und murmelt: „Clark Gable? Robert de Niro? Jay Kelly!“ Ja, Jay Kelly kann es mit den ganz Großen aufnehmen. Doch wer ist er, der sein Leben lang immer Rollen gespielt hat, eigentlich selbst?
Netflix bekommt mittlerweile die großen Namen für seine Eigenproduktionen – George Clooney als Titelheld und Adam Sandler als treu ergebener Manager Ron, Elvis-Enkelin Riley Keough als Tochter Jessica, Laura Dern als Publizistin, Greta Gerwig als Rons Ehefrau. Doch macht eine hochkarätige Besetzung auch automatisch einen hochkarätigen Film?
Regisseur Noah Baumbach („Frances Ha“, „Marriage Story“) erzählt in „Jay Kelly“ die Geschichte eines fiktiven Filmstars auf der Suche nach sich selbst als eine Mischung aus Komödie, Satire und Drama. Kelly blickt auf 35 Jahre Karriere zurück, als seine jüngste Tochter Daisy (Grace Edwards) volljährig wird und sich mit Freunden auf eine Reise durch Europa begibt. Kelly bleibt in der Villa zurück. „Du bist nie allein“, schmunzelt Daisy mit Blick auf die Entourage aus Manager, Maskenbildnerin und anderen Personen, die sich stets um ihren berühmten Vater tummeln. Doch der erwidert: „Ich finde, ich bin immer allein.“ Zeitgleich stirbt Kellys Freund und Mentor Peter (Jim Broadbent). Nach der Beerdigung trifft er auf einen alten Mitbewohner aus Vor-Ruhm-Zeiten, der ihm vorwirft: „Du bist nur eine leere Hülle!“ Das sitzt. Kelly beschließt, Daisy hinterherzureisen – und sein Leben zu überdenken.
Clooney spielt charmant, selbstironisch und ein bisschen eitel. Jay Kelly ist zwar ergraut, doch die Augenbrauen und Schläfen lässt er stets mit schwarzer Tusche nachdunkeln. Typisch Filmstar, wartet in jeder Suite ein Stück Käsekuchen – den er eigentlich gar nicht mag.
Wer mehr überrascht, ist Adam Sandler. Früher hauptsächlich für seine Blödelrollen bekannt, schlägt der 59-Jährige immer öfter ernste Töne an. Als Manager stets an Kellys Seite, stellt er sein eigenes Privatleben oft zurück. Frau und Kinder kriegen den Mann, der mit seinem Smartphone verwachsen zu sein scheint, nur selten zu Gesicht. Sandler mimt diesen Getriebenen mit viel Zärtlichkeit. Riley Keough hat zwar nur wenige Szenen, ihre Worte als verletzte Tochter hallen aber nach: „Ich habe ein gutes Leben – nur eben ohne dich.“ Es sind solche kleinen, ehrlichen Momente, in denen „Jay Kelly“ seine stärkste Wirkung entfaltet.
Der kurze Auftritt von Lars Eidinger als Rennradfahrer, der einer alten Dame die Handtasche stiehlt, wirkt wie ein Fremdkörper. Die Szene scheint seltsam konstruiert – ein Moment künstlicher Zuspitzung in einem sonst sanft fließenden Film. Ähnlich überzeichnet ist das in Italien inszenierte Gala-Dinner, das nicht recht zum sonstigen Grundton passt.
Trotz solcher Unebenheiten bleibt „Jay Kelly“ ein unterhaltsamer, warmherziger Film, der mehr ist als der Selbstfindungstrip eines egozentrischen Schauspielers. Noah Baumbach erzählt eine Geschichte über verpasste Chancen und die Bedeutung von Menschen, die bleiben, wenn der Applaus verhallt.JANINA VENTKER
„Jay Kelly“
von Noah Baumbach, ab heute im Kino, ab dem 5. Dezember im Stream auf Netflix.