Fremdkörper auf der eigenen Party: Nelly (Bayan Layla, am Kopfende) fühlt sich deplatziert. © Benoît Linder/SWR
Da sitzt sie also. Im Kreise ihrer Familie, als Teil eines von ihr perfekt inszenierten Kindergeburtstags für die kleine Nichte – und ist doch allein. Nelly Schlüter (Bayan Layla) – jung, hübsch und einsam – tut viel, um die schöne Fassade aufrechtzuerhalten. Doch an ihr nagt der Schmerz, nirgendwo dazuzugehören. Ein Gefühl, mit dem sie nicht allein ist. Laut aktueller Bertelsmann-Studie fühlen sich 46 Prozent der unter 30-Jährigen oft isoliert. Eine Tatsache, die der Stuttgarter „Tatort: Überlebe wenigstens bis morgen“ in einem leisen Krimi beleuchtet.
Erst posthum hat Nelly reichlich Gesellschaft: Schmeißfliegen und Käferlarven besiedeln ihren Leichnam, der nach fünf Monaten von den Kommissaren Bootz (Felix Klare) und Lannert (Richy Müller) in Augenschein genommen wird. Die Überreste der jungen Frau, die einen Strick um den Hals hat, liegen stranguliert in ihrer Stuttgarter Single-Wohnung. War es Mord oder ein Suizid? Was für ein Mensch war das Opfer Nelly Schlüter, die für die Nachbarin Kuchen backt, bei One-Night-Stands klammert und sich immer wieder in Traumwelten flüchtete?
Der „Tatort: Überlebe wenigstens bis morgen“ ist weniger klassischer Krimi als ein Drama über das Alleinsein in einer Stadt voller Menschen. Nellys Geschichte wird in der Rückschau erzählt und fokussiert sich nicht auf die Frage: „Wer war‘s?“, sondern „Wie konnte es so weit kommen?“. Eine Menge Puzzleteile liegen vor den Kommissaren Bootz und Lannert, die sich still und konzentriert durch dieses Trauerspiel arbeiten. Sie ermitteln auf einem Trümmerfeld sozialer Vernachlässigung. Drehbuchautorin Katrin Bühlig liefert die Vorlage für diesen Krimi, den Regisseurin Milena Aboyan nie überdramatisiert. Wo streckenweise der Spannungsbogen etwas durchhängt, funktioniert der Film als Seismograf einer Gesellschaft, in die die Einsamkeit längst Einzug gehalten hat.ASTRID KISTNER