„Diese Figur hat eine Stärke, die ich für weibliche Hauptrollen heutzutage sehr wichtig finde“, sagt Regisseurin Clara Zoë My-Linh von Arnim über Maria Anna, gespielt von Havana Joy. © WDR/Story House Pictures GmbH
Heute hieße das Agentin. Oder PR-Managerin. Ohne Maria Anna wäre Wolfgang Amadé Mozart ein Nichts gewesen, wahlweise ein verpeilter, lebens- und realitätsunfähiger Künstler. Die ARD-Serie „Mozart/Mozart“ legt das nahe. Erstunken und erlogen? Was wahr ist: Das „Nannerl“, wie die fünf Jahre ältere Schwester auch genannt wurde, war ein ebensolches Wunderkind wie Wolfgang. Papa Leopold sorgte für die musikalische Ausbildung und reiste mit beiden zu europäischen Höfen. Nicht nur deren verblüffende Kunst sollte dort präsentiert werden, man erwartete sich auch Bares oder vielleicht spätere Anstellungen.
„Stellen Sie sich ein Mägden von elf Jahren vor, das die schweresten Sonaten und Concert der grösten Meister auf dem Clavessin oder Flügel auf das Deutlichste, mit einer kaum glaublichen Leichtigkeit fertiget und nach dem besten Geschmack wegspielt“: So schrieb ein erstaunter Zeitgenosse, als er Maria Anna erstmals gewahr wurde. Und da kino- und fernsehtechnisch über den Bruder fast alles gesagt wurde, erscheint eine sechsteilige Serie übers Nannerl gar nicht so abwegig.
Eine selbstbewusste, selbstbestimmte Frau in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die den Bruder und alle anderen ziemlich direkt zurechtweist, dies mit flockiger Sprache des 21. Jahrhunderts – Regisseurin Clara Zoe My-Linh von Arnim findet nicht, dass sich das beißt. „Wenn man historisch erzählt, dann erzählt man immer aus der Zeit heraus, in der man sich gerade befindet.“ Schauspielerin Havana Joy als Maria Anna wirke eben nicht wie ein Opfer, das sich hochkämpft. „Diese Figur hat von vornherein eine Stärke, die ich für weibliche Hauptrollen heutzutage sehr wichtig finde.“
Was schnell deutlich wird: „Mozart/Mozart“ wendet sich nicht an Nerds, bei denen die CD-Gesamtaufnahmen im Regal stehen samt Biografien aus der Feder von Alfred Einstein und Wolfgang Hildesheimer. Die ARD setzt damit ihre Popularisierung von Komponisten fort, 2024 strahlte man „Bach – ein Weihnachtswunder“ mit Devid Striesow aus. „Mozart/Mozart“ geht weiter, weil sich die Serie auch an der Musik des Götterlieblings vergreift und in den Soft-Pop treibt. Ob da nicht Puristen Herzrasen bekommen? „Gerade weil die Geschichte modern geschildert werden sollte, fragten wir uns, welches Publikum mit der Musik erreicht werden soll“, sagt Regisseurin von Arnim. „Wir haben eine Musik komponieren lassen, die auf Mozart basiert und vielleicht im heutigen Publikum etwas auslöst, was Mozart damals ausgelöst hat.“
Wer den Kino-Knaller „Amadeus“ im Hirn hat, muss ohnehin umdenken. Wolfgang (Eren M. Güvercin) ist ein cooler Typ mit blau getönter Sonnenbrille. Und Salieri kein Komponistenekel, sondern in Gestalt von Eidin Jalali ein smarter Beau, der Maria Anna nicht nur mit seinen Kompositionen überzeugen will. „Unser Salieri sollte Gegenspieler, aber auch Objekt des Begehrens sein“, sagt von Arnim. Mehr als ein Porträt sei „Mozart/Mozart“, alles drehe sich auch „um eine Problematik, die ich als Frau im Kulturbetrieb noch immer erlebe“.
Wer solch gesellschaftspolitische Dimensionen aus der Serie nicht herausliest, muss zumindest konstatieren: Der Sechsteiler transportiert ein Lebensgefühl. Und vertraut mit Philipp Hochmair als Kaiser Franz Joseph II. und Verena Altenberger als champagnerbadende Marie Antoinette noch auf zwei Schauspielvollblüter, von denen man gar nicht genug kriegen kann. Mozart hätt‘s gefallen. MARKUS THIEL