Seit 80 Jahren gibt es Winterreifen. Bei Schnee und Eis auf den Straßen sind sie selbstverständlich und bei uns wie in vielen Ländern bei Glätte sogar gesetzliche Vorschrift. Die ersten Reifen speziell für winterliche Verhältnisse erschienen 1936. Damals stellte Semperit – ein Hersteller aus Österreich – sein erstes Winterprofil vor. In Skandinavien standen die Autofahrer vor demselben Problem. Für sie brachte der finnische Hersteller Suomen Gummitehdas Osaheytiö, der Vorgänger der heutigen Reifenmarke Nokian, ebenfalls 1936 den „Hakkapeliitta 75“ heraus. Sogar schon zwei Jahre früher präsentierte man den „Kelirengas“ (übersetzt: „Winterreifen“) für Lastwagen.
Militärreifen
als Vorbild
Der damalige „Goliath“ von Semperit hatte ein grobes, in der Mitte S-förmig gewundenes Profil mit ausgeprägten seitlichen Greifklauen. Es sollte vor allem in tiefem Schnee zupacken. Vorbild war das Militär mit seinen Reifen für hartes Gelände. Mit den 1950er-Jahren kam das Wirtschaftswunder und damit der erste Winter-Tourismus mit dem Auto. Continental war ganz früh dabei: Der „M+S 14“ erschien 1952. Sein Profil wieder mit ausgeprägten seitlichen Greifklauen hätte auch zu einem Trecker gepasst.
1959 hatte Pirelli eine Idee, die vielleicht wieder Bedeutung bekommen könnte: Beim „BS 3“ ließ sich die Lauffläche auswechseln – das Sommerprofil abnehmen und ein Wintermantel überziehen. Die 60er-Jahre brachten die Spikes, die Hartmetallkrallen. Ihre Wirkung auf Eis ist noch immer unerreicht. Sie kratzten aber dermaßen rasch Rillen in den Straßenbelag, dass sie ab 1975 verboten wurden. Die Industrie mühte sich, brauchbare Haftung auf Eis zu erreichen. Ihr kam zugute, dass sich in den 70ern der Radialreifen durchsetzte. Unter dem Profilgummi befindet sich bei ihm ein viel steiferer Unterbau, der Reifen verformt sich weniger beim Abrollen. Das Profil mit seinen Kanten kann so viel besser greifen, ganz besonders, seitdem zahlreiche feine Schnitte („Lamellen“) für eine viel größere Zahl dieser feinen Kanten sorgen.
Auch die Reifen-Chemiker waren nicht untätig: Statt wie früher vor allem Ruß als Füllstoff zu verwenden, greifen sie heute zu Kieselsäure („Silica“). Ruß ist nur noch in verschwindenden Mengen enthalten und hauptsächlich, um den Reifen weiterhin schwarz aussehen zu lassen. Heute enthält das Laufstreifengummi oft Nasstraktionsharze. Sie entwickeln eine Art Klebeeffekt auf Nässe und erhöhen den Grip auf feuchter Fahrbahn.
Neue Anforderungen
Inzwischen ändern sich die Anforderungen an M+S-Reifen erneut. Heutige Winter in Mitteleuropa sind vor allem nass, Schnee hat zumindest im Flachland mehr und mehr Seltenheitswert. Die Winterreifen müssen Tempo vertragen und sie sollen gegen Aquaplaning resistent sein. Vor allem aber wird Haftung auf Nässe verlangt, auch auf salziger Nässe bei Temperaturen unter Null. Und sie sollen keine Einbuße bedeuten in Lenkpräzision, Rollwiderstand, Geräusch und nicht zuletzt Lebensdauer. Die Hersteller bringen die zum Teil gegensätzlichen Forderungen erstaunlich gut unter einen Hut. In Abrollkomfort und Lenkpräzision unterscheiden sich moderne Winterreifen kaum noch von ihren Sommer-Kollegen. Bald jedes fünfte Auto rollt inzwischen auf „AllSeasonContact“, „Cross Climate“ oder ähnlich bezeichneten Reifen das ganze Jahr auf den Straßen. ampnet/fer