Mühldorf/Chieming – Manchmal braucht es nicht mehr als eine Begegnung. Knoten gehen auf, neue Türen öffnen sich, persönliche oder künstlerische Horizonte erweitern sich. Eine Freikarte zum Betreten neuer Räume, ein Sprungbrett ins aufregend Ungewisse. Diese Momente sind vor allem für Künstler von unschätzbarem Wert. Als sich der Chieminger Pianist Thomas Hartmann und der aus Mühldorf stammende Kontrabassist Claus Freudenstein zum ersten Mal begegneten, war das so ein Moment.
Die beiden merkten rasch, dass sie zwischenmenschlich und musikalisch auf einer Welle schwimmen. Auch weil beide eben nicht auf einen bestimmten Stil festgelegt sind, sondern Stilgrenzen verschwimmen lassen. Das gelingt ihnen auch noch auf eine derart subtile Weise, dass kein Stil dem anderen etwas nimmt. Stil-Overflow.
Von Klassik über
Jazz bis Rock
Also machten sich Hartmann und Freudenstein mit ihrer „Cross-Over-Musik“ auf Entdeckungsreise. Von der Klassik zum Rock, mit einem groovigen Abstecher in den Jazz, einem kessen Satz ins Heavy Metal und dann noch ein Rendezvous mit der Pop-Musik. Schnell bekam das Kind einen Namen und ging unter „Crossing Boarders“ auf Erfolgskurs. Einem Konzert im Traunreuter k1 folgten weitere in anderen bayerischen Spielstätten. Und schließlich wagten die beiden Bayern den Sprung nach Amerika.
Seit Jahren pilgert Claus Freudenstein zu dem alle zwei Jahre stattfindenden International Society of Bassists (kurz ISB) in die Vereinigten Staaten. Dort treffen sich seit 1967 – an immer wechselnden Orten der USA – Mitglieder aus über 40 Ländern und Gäste, um sich rund um den Kontrabass auszutauschen: Wettbewerbe, Workshops unterschiedlichster Art und natürlich Konzerte. Internationale Kontrabass-Größen in unterschiedlichsten Formationen mit anderen Instrumenten, solo oder als Bass-Orchester, sprengen Grenzen und entlarven dieses Instrument als ein ungeahnt vielseitig bespielbares Wunderding.
Ein Riesenabenteuer für Bass-Freunde – und eine optimale Plattform für Freudenstein und Hartmann mit dem gemeinsamen Projekt, welches nun auch im geografischen Sinn Grenzen überschritt. Mit Thomas Hartmann und der für Amerika doch außergewöhnlichen Musik des Duos hatte Freudenstein für das diesjährige und zugleich 50. ISB-Festival im Ithaca-College im Bundesstaat New York eine „Bass-Piano-Praline“ im Gepäck: Die rund 1500 Bassisten staunten nicht schlecht über die höchst ansprechenden Kompositionen und Bearbeitungen von Freudenstein und Hartmann.
Zwei Bayern spielten da Rock und Heavy Metal in kammermusikalischer Besetzung: „Highway Star“ von Deep Purple, „Someone like you“ von Adele, „Hotel California“ von The Eagles oder „Sweet Child o‘ Mine“ von Guns‘n’Roses begeisterten in einem Konzert die hochkarätigen Musiker.
„Fünf Tage Bass! Das war schon eine Erfahrung, manchmal aber auch eine Zerreißprobe für die Nerven eines Pianisten“, erinnert sich Thomas Hartmann. „Claus konnte gar nicht genug bekommen.“ Gut, dass die beiden eine Vereinbarung hatten. „Neben Ithaca wollten wir die Metropole New York und das ein oder andere Musik-Event besuchen“, sagt Hartmann. Bass-Nimmersatt Freudenstein kehrte im Anschluss noch im prominenten Musikclub „Whisky a GoGo“ auf dem Sunset Strip in LA ein und gab ein Konzert: „Eine Auszeichnung für jeden Musiker, auf den Spuren von The Doors, Janis Joplin und Jimi Hendrix wandeln zu dürfen“, sagt Freudenstein rückblickend.
Aus Amerika zu
den Basstagen
Erfüllt von neuen Eindrücken, voller Ideen und Inspirationen kehrte Freudenstein zurück in seine Heimatstadt Mühldorf. Und weil das Teilen in der Natur des Musikers liegt, verarbeitete er so manche Erfahrung und so manchen neuen Kontakt im Rahmen der von ihm vor vier Jahren gegründeten Bayerischen Basstage, welche mit guter Resonanz im Oktober in Mühldorf über die Bühne gingen.
Wie es nun weiter geht mit dem kammermusikalischen Rock-Duo? 2018 stehen etliche Konzerte innerhalb Bayerns auf dem Programm. Aber auch ihre Solo-Pfade verlassen beide Musiker natürlich nicht. Gleich im Januar fliegt Freudenstein nach Texas, wo er „The American Bassmonsters“ gründen will. Nach einer kurzen Probenphase wird das Quartett dann in Arlington, Dallas und Austin Konzerte geben. Außerdem unterrichtet der Mühldorfer an der Hurst-Euless-Bedford School und nimmt an einem Treffen des „Board of Direktors“ der International Society of Bassists teil.
Ziel und Thema des Treffens der Bassisten ist es, musikpädagogische Projekte in Ländern der Dritten Welt zu installieren. Der Bass soll auch in Zukunft Türen öffnen. Und Grenzen überschreiten. Kirsten Benekam