Rosenheim – Schon der Weg in das Innere der Kirchenkuppel ist ein Abenteuer. Über steile, schmale Treppen und dunkle Kämmerchen geht es hinauf zu einer Tür, hinter der sich etwas fast Unglaubliches befindet. Es ist der geheimnisvolle Eingang zum Inneren der riesigen Westerndorfer Zwiebelkonstruktion, also zum Raum zwischen dem Dach der Kirche und der mit Stuck verzierten Raumdecke, die der Gottesdienstbesucher sieht.
Dieser Bereich bleibt der Öffentlichkeit normalerweise verschlossen. Wer trotzdem einmal die Gelegenheit hat, dieses Wunderwerk zu betreten, kommt ins Staunen. Denn die gewaltige Konstruktion ist in fünf Ebenen aufgebaut. Es ist dunkel, die Beleuchtung ist nur für Notfälle gedacht, die Luft ist stickig und wer nicht schwindelfrei ist, dreht am besten wieder um. „Die Kuppel trägt seit 350 Jahren nicht nur ihr Eigengewicht, sondern auch die anfallenden Schneelasten“, weiß Hans Demberger, Vorsitzender des Historischen und Heimatvereins in Pang und einer der Autoren der Chronik „Westerndorf am Wasen“ (siehe Kasten). Hagel, Stürme, Wind und Wetter habe die überdimensionale Zwiebel seit ihrem Bau im Jahr 1668 überstanden. Lediglich ein paar Schindeln fielen der Witterung zum Opfer und wurden ersetzt.
Besonderheit:
Alles ist aus Holz
Das Besondere daran: Alles ist aus Holz. Ein weitgefächertes Bauwerk mit Hunderten von Balken und Verstrebungen. Kaum vorstellbar, wie vor 350 Jahren Arbeiter und Baumeister ohne elektrischen Strom, ohne schweres Gerät und ohne jegliche EDV-Unterstützung dieses architektonische Meisterwerk geschaffen haben. Wer das Dach einst konstruiert hatte, konnte trotz jahrelanger Recherche noch nicht nachgewiesen werden. Der ungesicherten Überlieferung nach baute es Zimmerermeister Georg Kinner aus Westerndorf. Von ihm ist der bis heute gebräuchliche Hofname „Beim Zimmermeister“ erhalten. Das massive Gewicht der Kuppel tragen vier Pfeiler im Inneren der Kirche. Wo genau welche Kräfte wirken, damit haben sich kürzlich beiden Rosenheimer Studenten Daniel Bliefert und Gerhard Frisch in ihrer Bachelorarbeit beschäftigt. Sie haben sich zudem die Mühe gemacht, die Pläne der historischen Konstruktion erstmals softwaregestützt einzulesen, also zu digitalisieren.
Spannend ist auch, dass ein Teil des Turms von der Vorgängerkirche übernommen worden ist. Sein mächtiger Unterbau schneidet deshalb etwas in die Kuppel ein. Wie ein roter Faden zieht sich zudem die Vereinbarkeit von Kreuz und Kreis durch das Gotteshaus. Dieses Wechselspiel gipfelt wortwörtlich in der fünften, der obersten Etage der Holzkonstruktion. Diese liegt auf einem Kreuz von vier Balken auf. Die Mittelstütze wird von vier Pfeilern getragen.
Inzwischen hat jedoch auch der Zahn der Zeit an der im Barock erstellten Formung genagt. Aufgrund der massiven Kräfte haben sich Risse im Mauerwerk gebildet. Ein sogenanntes Rissmonitoring nach dem neuesten Stand der Technik erfasst deshalb genau, wo wann welche Belastungen vorhanden sind.
Schönheit bewundern bei Kirchenführungen
Wer die Schönheit im Inneren der Kirche und die Mächtigkeit der Kuppel erleben will, ist eingeladen, an einer der Kirchenführungen teilzunehmen. Eine Gelegenheit besteht zum Beispiel am Festwochenende zum 350. Jubiläum der Rundkirche, das von 22. bis 24. Juni stattfindet. Am Sonntag, 24. Juni, führt der Heimatforscher und Historiker Hans Demberger am Nachmittag Interessierte durch die Westerndorfer Rundkirche. Regelmäßig finden zudem feierliche Gottesdienste in der Kirche statt, in der Regel immer donnerstags um 19 Uhr (außer feiertags) und zusätzlich am Pfingstmontag, um 9 Uhr.
Dass die Westerndorfer seit jeher eng mit ihrem einzigartigen Gotteshaus verbunden sind, beweist, dass sich viele für die Kirchengemeinde engagieren. Franz Unterlinner, Kirchenpfleger und Schreinermeister, hat beispielsweise mit Josef Dräxl senior, Balthasar Sengl und Konrad Mühlberger das Friedhofskreuz restauriert. Seine Frau Marlene kümmert sich mit viel Herzblut als Mesnerin darum, dass alles wunderschön geschmückt und ordentlich geputzt ist. Bauunternehmer Georg Tremmel, Stadtrat Georg Kaffl, Maurermeister Hans Heller und die örtliche Feuerwehrgruppe haben die Friedhofsmauer und die Treppe hergerichtet. Paul Deutschenbaur engagiert sich seit vielen Jahren im Pfarrgemeinderat, im Rosenheimer Dekanatsrat und als Lektor und Kommunionhelfer. Hinzu kommt viel Arbeit, welche die Kirchenverwaltung, die Ortsgemeinde, weitere Vereine und Privatpersonen sowie die Haupt- und Ehrenamtlichen unter Leitung von Domkapitular Dekan Pfarrer Daniel Reichel im Rahmen der Vorbereitungen für das 350. Jubiläumsjahr geleistet haben.
Ein eigens gegründeter Festausschuss unter Leitung von Josef Dräxl junior koordiniert die Feierlichkeiten. Andreas Gartner aus Westerndorf, Frank Buys aus Nicklheim und Werner Schrott aus Pang bauen seit mehr als zwei Jahren an einem Modell der Rundkirche. Im Maßstab 1:20 tüfteln sie mit unglaublicher Liebe zum Detail an Kirche, Turm und Friedhof und wollen „ihr“ Gotteshaus beim Festwochenende, gezogen von den Rössern von Georg Gilg aus Schlipfham, der Bevölkerung präsentieren.
Doch trotz der enormen Tatkraft kann die Pfarrei nicht alles alleine stemmen. Ein Beispiel dafür ist die Renovierung der Westerndorfer Orgel. Sie gilt als wahrscheinlich letztes Exemplar vom Rosenheimer Orgelbauer Josef Hackl. Pfeifen und Gehäuse sind besonders erhaltenswert. Doch die letzten 100 Jahre haben ihre Spuren an dem Kircheninstrument hinterlassen.
Deshalb gibt es eine Spendenaktion. Wer etwas für die Restaurierung der Orgel beitragen möchte, kann auf das „Spendenkonto Rundkirche Westerndorf“ (IBAN: DE51 7116 0000 0000 1110 74, Verwendungszweck: Orgel Westerndorf) spenden. Die Restaurierungskosten liegen bei rund 50000 Euro. Symbolisch zeigt eine Orgelpfeife am Schriftenstand die notwendigen Beträge an. Daneben sind Fotokerzen zum 350. Jubiläum erhältlich. Der Erlös aus dem Preis von zehn Euro ist ebenfalls für die Orgel bestimmt.