Waldkraiburg – Was er denkt, wenn er in Salti und Schrauben durch die Luft fliegt, kann Rainhard Riede nur schwer beschreiben. Wahrscheinlich ist es eher ein Gefühl. Es fallen Worte wie Geschwindigkeit, Flug, Kick und Adrenalin, was verständlich ist, wenn sich ein Mensch aus bis zu 34 Metern Höhe ins Wasser stürzt. Aber im Grunde sind es ja nur Sekunden in der Luft. Sekunden voller Konzentration. Auf die Tricks, also, die Art, wie sich der 23-Jährige nach unten bewegt. „Ich würde nicht mit einer Kerze aus dieser Höhe springen. Da müsste ich ja die ganze Zeit aufs Wasser schauen“, sagt er. Durch die Tricks, Drehungen verschiedener Art, ist Rainhard Riede sogar ruhiger. „Beschäftigung in der Luft“ nennt der Waldkraiburger das. Bewusst setzt er sie an die ersten Meter nach dem Absprung. Am Schluss konzentriere er sich dann darauf, ideal im Wasser zu landen. Mit den Füßen voraus.
Wenn er dann unten im Wasser ist, merkt er meistens, dass alles gutgegangen ist. „Ich freue mich dann wahnsinnig“, erzählt der gelernte Kaminkehrer. Aber es kam auch schon vor, dass Rainhard Riede sein Knie gespürt hat, weil er nicht ideal ins Wasser gekommen ist. „Manchmal kann man Verletzungen nicht vermeiden. Wenn man einen Sprung verhaut, kann man eigentlich nur noch alles anspannen, was geht“, hat der Waldkraiburger der Heimatzeitung einmal in einem Interview gesagt. Einmal sei er aus 16 Metern Höhe auf dem Bauch gelandet, er habe Blut gespuckt, weil einige Lungenbläschen geplatzt seien.
„Liebe Kinder, bitte nicht nachmachen“
Tollkühn mögen die Sprünge aussehen – Rainhard Riede wird dabei oft gefilmt, auf seinem Youtube-Kanal „riede94“ kann man sich verschiedene ansehen. Immer sieht das, was er macht, so aus, dass Thomas Gottschalk bei „Wetten, dass ..?“ gesagt hätte: „Liebe Kinder: Bitte nicht zu Hause nachmachen!“
Beispielsweise nimmt er Anlauf, hüpft auf ein Trampolin, das direkt am Geländer einer Brücke steht, und springt von dort nach unten. Aber wie ein Draufgänger wirkt der 23-Jährige nicht. Bevor er in ein Gewässer springt, taucht er es vorher ab. Selbst, wenn er dort schon einmal war. Bei natürlichen Gewässern könne schließlich mal ein Baum reingerutscht sein, oder ein Fels ins Wasser gestürzt sein.
Oft sind Freunde von Rainhard Riede unten im Wasser, die ihm zur Hilfe eilen würden, wenn er sich verletzt. Er trainiert seine Sprungkraft das ganze Jahr über. Bevor er buchstäblich ins kalte Wasser springt, kühlt er sich außerdem in der Regel schon etwas ab. Und von hohen Klippen springt er mit Tricks, die er wirklich sehr gut kennt. Diese zu verbessern, ist nichtsdestotrotz immer sein Ziel.
Angefangen hat das mit dem Springen als er 15 war. Freunde hatten ihn mit ins Waldbad genommen, das auch ein Sprungbecken mit Zehn-Meter-Turm hat. Irgendwie fand er an diesem Tag gefallen am Springen. Er brachte sich die Stunts selbst bei, schaute Videos von anderen Springern im Internet. Er steigerte die Absprunghöhe.
2015 und 2017 war er Weltmeister im Splashdiving. In den deutschen Medien war die Rede vom „Arschbomben-Weltmeister“. Klingt ein bisschen zu sehr nach Spaß, und weniger nach echtem Sport. Dabei gibt es Technik, beispielsweise, um möglichst viel Wasser beim Eintauchen zu erzeugen. Mittlerweile hat Rainhard Riede aber eine besondere Leidenschaft für das Klippenspringen entwickelt.
Riede fühlt bei jedem Sprung etwas anderes
„Nur die Natur, die reine Klippe, das ist schöner“, findet er. Er war in verschiedenen europäischen Ländern, in den USA und Australien. Die Reisen schätzt der 23-Jährige auch. Aber die Natur hat eben auch ihre eigenen Gesetze. Und die respektiert der junge Mann. An Ostern wollte Rainhard Riede in Italien springen. Eine enge Bucht mit steilen Felsen zu beiden Seiten ist im Video zu sehen. Die Wellen peitschen an ihm hoch, das Wasser wirbelt und schäumt. Keine Bedingungen für einen Sprung. „Wenn ich Angst habe, mache ich es nicht“, klingt wie eine Regel. Respekt dagegen sei normal: „Das Wichtigste ist für mich, dass ich heil ankomme.“
Alles, ab 25 Metern Absprunghöhe, ist selbst für Rainhard Riede etwas Besonderes. Es ist nicht so, dass er das schon hunderte Male gemacht hat. Mitgezählt hat er nicht. Vielleicht 25- oder 30-mal schätzt er, solche Sprünge gemacht zu haben. Derzeit liegt sein Rekord bei 34 Metern. Möglicherweise wird er demnächst in Oregon aus mehr als 40 Metern Höhe springen. Es komme einfach auf die Bedingungen an. „Kaltes Wasser ist härter“, erklärt Rainhard Riede. Gebrochene Wasseroberflächen, zum Beispiel durch einen Wasserfall, sind weniger hart als ungebrochene.
Wenn der 23-Jährige vom Klippenspringen erzählt, geht es aber weniger um einen möglichen neuen Höhen-Rekord. Es klingt ein bisschen so, als gehe es Rainhard Riede darum, die Eindrücke verschiedener Klippensprünge zu sammeln. Er plant regelmäßig Trips zu Klippen und Brücken. Manchmal seien es so viele Stationen, dass es schon fast stressig sei. Riede scheint nicht anders zu können: „Am liebsten würde ich überall hin.“ Nicht wegen des Kicks, scheint es, sondern, weil er beim Sprung jedes Mal etwas anderes fühlt: „Jeder Ort hat seine Eigenheiten.“ Vielleicht lässt sich auch deshalb so schwer beschreiben, was er denkt und spürt, wenn er in der Luft ist.