Im zweiten Jahr der Pandemie scheint sich auch in der Bevölkerung immer mehr die Einstellung hin zu einer „neuen Realität“ zu verfestigen. Arbeitsmodelle wie das Homeoffice – erst als Übergangs- und Notlösung gedacht – werden mittlerweile zur Basis mancher Lebensentscheidung. Gemeint ist der Umzug aus der Stadt in nahe gelegene Regionen. Tatsächlich ist der Trend zur sogenannten Counterurbanisierung deutschlandweit aktuell stärker erkennbar denn je.
Junge Familien
erwägen den Umzug
Die Metropole galt einst aufgrund ihrer lebendigen Vielfalt auf engem Raum als attraktiv – nun verkehrt sich dies für viele im Angesicht drohender Infektion ins Gegenteil. Gut, wenn es sich dann auch von Zuhause in der weit entfernten Region ohne lange Anfahrt arbeiten lässt. Je länger die Pandemie andauert, desto stärker scheint sie die Abwanderung aus Stadtzentren voranzutreiben. Wie eine Umfrage des ifo Instituts und des Immobilienportals Immowelt ergab, planen 13 Prozent der Befragten aus Großstädten mit über einer halben Million Einwohner, diese im kommenden Jahr zu verlassen. Fast die Hälfte der Befragten nannte die Corona als Faktor für die Entscheidung. Besonders junge Familien erwägen dabei laut den Studienergebnissen einen Umzug.
„Tatsächlich bemerken wir, dass immer mehr Menschen aus der Stadt und in die Region rund um Berlin ziehen“, sagt Katja Giller vom Immobilienverein Deutschland. Zwar habe dieser Trend schon ein paar Jahre vor der Pandemie begonnen. Was heute allerdings anders ist: „Auch die Preise im Umland beginnen immer stärker zu steigen. Diese Regionen werden jetzt im Allgemeinen attraktiver beurteilt, damit steigt die Nachfrage immer mehr. Und das ist natürlich auf die Pandemie zurückzuführen“, erklärt Giller.
Auch in Nordrhein-Westfalen spürt man bei den Menschen das Bedürfnis nach mehr Platz und einem damit verbundenen geringeren Infektionsrisiko. „Die sogenannten Speckgürtel um Düsseldorf und Köln werden immer breiter“, sagt Jörg Utecht vom Immobilienverein Deutschland West. Eine wichtige Rolle bei diesem Prozess spiele dabei auch die Verkehrsinfrastruktur. „Je besser ich eine Anbindung per S-Bahn oder Auto hinein in die Stadt habe, desto weiter kann ich auch in der Region wohnen.“ Denn ganz vom persönlichen Besuch des Arbeitsstandorts dürfte man auch in Zukunft nicht befreit sein – trotz Pandemie und Homeoffice-Option.
Mit am stärksten spürt man den Trend der Counterurbanisierung in München. Wohnraum ist in der bayerischen Metropole schon lange knapp und teuer, die Stadtflucht vieler aus finanziellen Gründen nichts Neues. Die Pandemie wirkt allerdings als Brandbeschleuniger. „In Zeiten der Corona-Krise ist die Nachfrage auf dem Wohnimmobilienmarkt im Münchner Umland immens“, erklärt Stefan Kippes, Marktforscher vom Immobilienverein Deutschland Süd.
Gerade zwischen 2020 und 2021 stiegen die Kaufpreise in der Region rapide an. Spitzenreiter ist die Kreisstadt Ebersberg im Norden von München, etwa 30 Kilometer von der bayerischen Landeshauptstadt entfernt. Laut IVD-Marktforschungsstudie stand dort der Quadratmeterpreis einer Eigentumswohnung 2020 noch bei 4780 Euro. Nach einem Jahr Pandemie ist der Durchschnittspreis auf 5210 Euro pro Quadratmeter geklettert. Christoph Kastenbauer