Vier Generationen RS 6: Audi feiert den 20. Geburtstag der Hochleistungs-Baureihe. Und das ist so bedeutend, weil sich der RS 6 konzeptionell als Trendsetter präsentierte und in seiner jeweils aktuellen Modellgeneration den Stand der Technik widerspiegelt. Und weil er den Mythos der Marke Audi – und vor allem der Hochleistungssparte Audi Sport, vormals Quattro GmbH – maßgeblich prägte.
Die Tour mit allen Modellgenerationen beginnt im ältesten mitgebrachten Fahrzeug, einem RS 6 Avant der Baureihe C5, mit dem die Tradition begonnen hat. Mit „C“ bezeichnet Audi die A6-Klasse (sowie die Vorgängermodelle Audi 100 und 200), „5“ markiert die fünfte Modellgeneration. Einen Hochleistungs-Kombi gab es zwar schon vorher, nämlich den RS2 Avant. Aber der war kleiner, er basierte auf dem Audi 80, gehörte damit in seinen Abmessungen zur gehobenen Mittelklasse.
Der erste RS 6 ist zu 100 Prozent ein Audi-Gewächs. Abgeleitet ist er vom Audi A6 der Modellgeneration C5 auf, ikonisch gezeichnet vom Designer Claus Potthoff (die Limousine war übrigens noch konsequenter als der Avant, mit Anklängen an den ersten TT). Diesen RS6 gab es als Limousine, auf dem Markt spielte jedoch der Avant die weitaus größere Rolle, mit einem Split von ungefähr 80:20. Der RS 6 hebt sich in vielen Details vom A6 ab. Und wir finden: Erst mit den großen Rädern und Reifen, den weit ausgestellten Kotflügeln und den aufwendig gefertigten Außenspiegel-Kappen aus Aluminium kommt die geometrische Form des C5 so richtig zur Geltung.
Innen besticht der erste RS 6 Avant mit makelloser Verarbeitungsqualität und einzigartigen Details, beispielsweise der exklusiv gezeichneten Instrumentierung, die an die Anzeigeuhren in Kampfflugzeugen erinnert. Das Fahrerlebnis beeindruckt noch heute. Die 450 PS des turboaufgeladenen 4,2-Liter-V8 schieben mächtig an, dunkles Grollen untermalt die souveräne Leistungsentfaltung. Noch heute braucht dieses Auto kaum Konkurrenz zu fürchten, lediglich das Getriebe schaltet nicht so blitzschnell wie die Wandlerautomaten der neuesten Generation. Aber das ist eigentlich kein Problem; der Wechsel der Fahrstufen ist sauber verschliffen, und weil es nur fünf Gänge gibt, weiß der Fahrer schon per Akustik jederzeit, welcher von ihnen gerade eingelegt ist.
Baureihe C6: Ein Klassiker im Design
Es folgt der Wechsel in die zweite Generation des RS 6, die Baureihe C6. Die Form ist weicher geworden, der „Singleframe“-Grill dafür nicht mehr durch die Stoßstange geteilt, sondern in voller Größe sichtbar. Auch dieser A6 gilt unter Designern als Klassiker, hier allerdings der rundliche Avant mehr noch als die Limousine. Die Instrumentierung liegt jetzt näher am regulären A6, die Bildschirme werden größer. Und unter der Haube steckt eine echte Pretiose: Jetzt wird der RS 6 von einem Zehnzylinder-Turbo angetrieben, 580 PS.
Die Turboaufladung hebt den V10 nochmals deutlich vom V10-Saugmotor ab, der damals im S6 und S8 verbaut wurde. Der Klang ist einzigartig, eine Reminiszenz an die Zehnzylinder, die einst in der Formel 1 dominierten. Pure Faszination also, doch man muss diesen Motor fordern, um ihn wirklich zu erleben.
Die Nachfolgegeneration C7, die als nächstes zur Testfahrt bereitsteht, markiert auch deshalb einen mehrfachen Bruch mit dem Vorgänger: Kein „immer mehr“, sondern die Rückkehr zu einem V8-Turbo, und zwar mit weniger Leistung, nämlich 560 PS. Das neu entwickelte Aggregat mit einem Hubraum von knapp vier Litern – unterhalb einer für China wichtigen Steuergrenze – verfügt über Zylinderabschaltung, ist leichter und auch sparsamer.
Auf der Straße brilliert der RS 6 Avant der Generation C7 mit spürbar optimiertem Fahrverhalten, wirkt keineswegs schwächer als der Vorgänger. Und es gibt wohl auch keinen RS 6 mit auffälligerem Sound: Vielleicht klingt dieser 4,0-Liter-Direkteinspritzer nicht mehr so fein wie die Vorgänger-Aggregate, doch der Auspuff knallt und trompetet nach Herzenslust.
Beim Klang kann der Nachfolger, der von uns zum Abschluss gefahrene RS 6 Avant der Generation C8, nicht mehr mithalten. Doch ansonsten legt der aktuelle RS6 nochmals nach, liefert Quer- und Längsdynamik auf Supersportwagen-Niveau. Die Leistung des weiterentwickelten Vier-Liter-V8 ist C8 auf glatte 600 PS gestiegen. Auch das Design vollzieht wieder einen Sprung: Der neue RS 6 Avant, jetzt gezeichnet unter Chefdesigner Marc Lichte, gefällt mit futuristischem Interieur, schärferen und kantigeren Linien und einem geradezu coupéhaften Heck, das an die „Zigarre“ C3 erinnert – den unvergessenen Audi 100/200, der in den 80er-Jahren Aerodynamik-Weltmeister war. Die Frontpartie ist ein Geniestreich: Sie ist nicht vom A6 abgeleitet, sondern vom RS7 übernommen, positioniert den RS6 damit höher als das Ausgangsmodell und erlaubt es gleichzeitig, ein Laser-Fernlicht anzubieten.
Vollelektrischer A6 bekommt RS-Variante
Ob das RS-6-Konzept mit der Generation C8 den Zenit erreicht hat oder ob es noch weitere Technik-Sprünge geben wird, bleibt derzeit offen. Es darf als sicher angenommen werden, dass der kommende vollelektrische A6 eine RS-Variante bekommen wird, und es wird wohl auch eine weitere Generation von RS-Modellen mit Ottomotor geben. Die Zylinderzahl bleibt derzeit offen. Jens Meiners, cen