Sensationsfunde sind rar – und doch gibt es sie. Bei einer Auktion entdecken die Experten von Opel Classic acht unbekannte Fotos eines Opel-Lieferwagens aus den 1930er-Jahren. Damals war Opel bei den Nutzfahrzeugen Marktführer mit verschiedenen Versionen des legendären Blitz, die jedoch alle über einen klassischen Aufbau mit langer Motorhaube und anschließender Fahrerkabine verfügten.
Das bislang unveröffentlichte Bilderset beweist nun: Opel hatte zu dieser Zeit einen serienreifen Kleintransporter in Frontlenkerbauweise entwickelt – viele Jahre, bevor sich das Konzept mit flacher, nicht vorstehender Front weltweit verbreitete und zum heutigen Standard für leichte Nutzfahrzeuge wurde.
Opel Classic-Leiter Leif Rohwedder ist von diesem Fund begeistert: „Das ist ein automobilhistorischer Paukenschlag. Die Bilder waren im Archiv von Opel nirgendwo vorhanden. Keine einzige Publikation hat nach heutigem Kenntnisstand das Fahrzeug je erwähnt. Das Wissen um den einzigartigen Prototyp war seit Jahrzehnten verschollen.“
Das soll sich nun ändern. Die Verantwortlichen bei Opel Classic haben vom Prototyp des frühen Kleintransporters direkt ein Miniaturmodell anfertigen lassen – maßstabsgetreu und in den Farben der damaligen Zeit. So soll der Transporter im Miniformat daran erinnern, was er im eigentlichen Sinne ist – der Urahn moderner Nutzfahrzeuge, mit dem alles seinen Anfang nahm.
Opel-Frontlenker-
Konzept
Der Projektname ist auf der Rückseite neben dem damaligen Stempel der Opel-Fotoabteilung mit Bleistift vermerkt: 1.5-23 COE. Die Ziffern weisen auf den Hubraum (1488 cm³) und den ungefähren Radstand hin (2400 mm). Das Kürzel COE steht für „Cab Over Engine“, zu deutsch: Frontlenker.
Dieses Konzept war in den 1930er-Jahren innovativ. Die Frontlenker-Bauweise sorgt gegenüber dem damals verbreiteten Haubenwagen-Design mit weit vorstehender Schnauze für kompaktere Außenmaße bei gleich großem Laderaum. Das kommt der Wirtschaftlichkeit und der Wendigkeit zugute. Der Motor befindet sich unter oder kurz vor der Sitzbank.
Vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs waren erste entsprechende Transporter nur in den USA, Deutschland und Frankreich in kleinen Stückzahlen auf dem Markt. Die einzigen beiden deutschen Frontlenker-Vertreter von Goliath und Magirus stammten aus den frühen 30er-Jahren und kamen mit einem spartanischen, würfelförmigen Führerhaus daher.
Viel ist über die technischen Details des Blitz 1.5-23 COE nicht bekannt. Immerhin stießen die Opel Classic-Experten nach intensiver Suche im Opel-Archiv auf ein Dokument, in dem das Fahrzeug Erwähnung findet: eine englischsprachige Informationsbroschüre für das Modelljahr 1937. Dieser kann neben der zeitlichen Einordnung und einigen Eckdaten entnommen werden, dass es neben der Eintonner-Variante, die auf den Bildern zu sehen ist, auch einen 1,5-Tonner mit Sechszylinder und Zwillingsbereifung geben sollte.
Die Gründe, warum der fortschrittliche Blitz-Eintonner-Lieferwagen nicht in Serie geht, liegen wohl in den deutschen Kriegsvorbereitungen in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre. Leichte Nutzfahrzeuge waren als nicht kriegswichtig eingestuft, Opel musste mit einer erzwungenen Einstellung des Fahrzeugs rechnen. Der seit 1933 angebotene Blitz-Eintonner mit Haube wird 1940 auf Anweisung vom Markt genommen. Die Wiederaufnahme der Fahrzeugproduktion in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre erfolgt mit den nur leicht modifizierten Vorkriegsmodellen Olympia, Kapitän und Blitz 1,5-Tonner.