Das Thema, das den Landwirten in der Region Rosenheim vorrangig auf den Magen schlägt, ist der Brenner-basistunnel. „Wenn es unbedingt sein muss, dann wird die Trasse am besten unter Boden verlegt“, so Sepp Andres persönliche Meinung. Am liebsten wäre es dem Rosenheimer BBV-Kreisobmann aber, die Strecke würde gar nicht gebaut – „noch dazu, wo der Bedarf noch überhaupt nicht endgültig geklärt ist.“
Sicher ist, dass die Landwirte, deren Grund und Boden von den Planspielen betroffen sind, „ziemlich in der Luft hängen“, wie es der Kreisobmann schildert. Die Trasse wird immer wieder verschoben, frei nach dem Motto „heute hier, morgen dort“.
Planungssicherheit gibt es damit natürlich nicht – und die Unsicherheit sorgt unter den Betroffenen für „gute Stimmung, das ist ja klar“, so Andres ironisch.
Für ihn ist nicht einmal klar, ob überhaupt die vorhandene Strecke ausgebaut werden müsste. Fest steht für ihn nur, dass zum einen die Gegend und die Anwohner am meisten unter dem Brennerbasistunnel leiden, die am wenigsten davon haben. Letztendlich gehe es um einen Ausbau der Strecke Verona-Bremerhaven oder Antwerpen. Im Inntal gebe es noch nicht einmal ein Terminal, das den Spediteuren helfen würde. „Bis die nach München fahren, sind sie von uns aus schon fast in Verona“, so Andres. Natürlich nur, wenn nicht gerade Blockabfertigung ist.
Allerdings: Würde im Inntal oder Rosenheim ein Terminal gebaut, ist der Nutzen ebenfalls fraglich. Denn: „Dieser Bau würde noch einmal einen Riesenflächenverbrauch bedeuten“, sagt Andres. Und zwar zusätzlich zu der Fläche, die für den Basistunnel an sich schon draufgeht: 200 Hektar reine Baufläche – allein für das, was in Rosenheim verbaut wird. Dazu kommen mindestens 200 Hektar Ausgleichsfläche – das ist Grund und Boden, der zusätzlich aus der Produktion entnommen, stillgelegt, mit Hecken oder Bäumen bepflanzt wird. Diese Fläche ist ebenfalls nicht mehr für die Produktion gesunder Lebensmittel vorgesehen.
Obendrauf gerechnet wird dann noch die Fläche, die für den Baustellenbetrieb gebraucht wird: „Das ist Boden, der mindestens für eine Generation entfällt, 15 Jahre nicht nutzbar ist. Denn so lange wird die Baustelle ungefähr dauern. Und nach dieser Zeit muss auch alles erst wieder rekultiviert werden – das dauert auch noch einmal seine Zeit. Für eine ganze Generation fällt dieser Boden erstmal weg“, rechnet Andres vor.
Das ganze Projekt Brenner sei aber nicht nur flächentechnisch für die Landwirte eine Belastung: Hier wird massiv in Betriebe, Familien und deren Zukunft eingegriffen, etwas verändert, das über Generationen aufgebaut wurde. „Wir wollen immer alles schützen, nur die Leute und die Kulturlandschaft nicht“, findet Sepp Andres.
Der Flächenverbrauch, der Landwirten die Existenzgrundlage entzieht, ist nicht das einzige Problem, mit dem sich die heimischen Bauern herumschlagen müssen:
Eine kalte Enteignung verursachen auch die Biber, die durch ihre Bauten Felder oder Wiesen überschwemmen, die dann nicht mehr so gut bewirtschaftet werden können.
Industrie kauft ganze
Sparten auf
Bedrohlicher ist der Druck, der am Markt für landwirtschaftliche Erzeugnisse aus der Region aufgebaut wird: Es sei festzustellen, dass Pharma- und Lebensmittelindustrie, große Konzerne, immer mehr große Sparten aufkaufen: so seien zum Beispiel die Petrusquellen von Edeka, Altmühltaler Mineralbrunnen von Aldi und ein Nudelproduzent aus Erfurt von Lidl aufgekauft worden. „Die reißen die Produktion an sich“, erklärt Andres. Gleichzeitig nahm Edeka Erzeugnisse einer regionsbekannten Molkerei aus den Regalen.
Der Trend geht zu den billig erzeugten Nahrungsmitteln aus dem Ausland. Nur: die werden natürlich nicht zu den Standards produziert, die von den deutschen Bauern gefordert werden. Einerseits soll bei uns das Schwein – ein Allesfresser – vegan ernährt werden.
Das ist übrigens überhaupt nicht im Sinn des Tierwohls, findet Sepp Andres. Aber während man in Deutschland immer strengere Maßstäbe im Stall, in der Tierhaltung und in der Lebensmittelproduktion anlege, „wird die Qualzucht, die uns unterstellt wird, andernorts gesetzlich geduldet. Wer es so toll findet, dass das billige Schnitzel aus Spanien kommt, der sollte sich mal die spanischen Großanlagen, wo diese Tiere gehalten werden, anschauen. Oder ein 26-stöckiges Schweinehochhaus in China“, schlägt der Kreisobmann vor.
Der Schweinbestand ist in den letzten Jahren in Deutschland um sechs Millionen zurückgegangen, in der gleichen Zeit wurde der Bestand in Spanien um sieben Millionen aufgebaut – in einer Region, in der weniger Wasser und Grundfutter zur Verfügung stehen.
Die Mittel zum Leben, das sei anscheinend die Vision der Zukunft, die kommen nicht von vor der Haustür, die kommen von ganz woanders her. Und statt dass man lieber im Hofladen kauft, wo man genau weiß, wie die Lebensmittel hergestellt werden, entscheide sich der Verbraucher an der Theke für das billige Lebensmittel, von dem er keinerlei Ahnung hat, nach welchen – nicht vorhandenen – Standards es hergestellt wurde. „Da fragt man sich dann schon, ob das nachhaltig ist“, so Andres.
Insektenmehl keine
nachhaltige Alternative
Überhaupt werde in Deutschland ja der Fleischverzehr angeprangert. Gleichzeitig werde jetzt die Verwendung von Insektenmehl gepriesen: „Also ich brauche das nicht, es ist etwas, das in unserer Kultur fremd ist und einfach nicht auf der Speisenkarte steht“, so Andres. Früher habe man versucht, die Schädlinge aus der Küche draußen zu halten – jetzt sollen sie zum eiweißhaltigen Speiseplan beitragen.
„Mei, wer es mag, der soll das essen“, findet Andres. Aber nachhaltig: das sei beim Insektenmehl, allein wegen des mühseligen Imports weit gefehlt. Ganz abgesehen davon, dass niemand weiß, unter welchen Bedingungen es produziert wird.
Der Kreisobmann findet auch, dass diejenigen, die gerne gutes Rindfleisch, deftige Schnitzel, würzigen Käse oder rahmige Milch essen wollen, das genauso tun dürfen sollen. Klüger fände es Andres auch, wenn die Politik gerechte Bedingungen auch für die deutschen Landwirte schaffen würde: „Es kann doch nicht sein, dass wir bei uns alles kaputt machen und dann etwas, das von außen kommt, in uns hineinkauen, von dem wir überhaupt nicht wissen, was drin ist – frei nach dem Motto aus den Augen, aus dem Sinn.“
Der deutsche Landwirt, der muss alles dokumentieren, sauber nachweisen, Gesetze einhalten und gut auf seine Tiere schauen. Beste Hygiene garantiert. „Wir produzieren gute, gesunde Lebensmittel, von denen alle satt werden könnten“, so Andres. Im Moment ernährt ein Landwirt circa 140 Menschen – Tendenz steigend. Allerdings: die Zahl der Landwirte nimmt ab. Die Zahl der Menschen, die in Deutschland leben wollen, nimmt zu. Gleichzeitig wird guter Boden – wie zum Beispiel für den Brennerbasistunnel, aber auch für industrielle Standorte – aus der landwirtschaftlichen Produktion entnommen.
Obendrein verschärfen sich fast täglich die bürokratischen Vorschriften für die Bauern – sei es in der Tierhaltung, beim Arzneimittelgesetz, beim Bauen oder auch beim Erben: „Wir machen es einfach noch strenger.“
Wie lange das noch gut gehen kann: angesichts steigender Inflation, steigender Preise bei den Kraftstoffen, dem Dünger, den Futtermitteln und beim Bauen beginnt man sich das langsam, aber sicher zu fragen. „Die deutsche Landwirtschaft“, so sagt es BBV-Kreisobmann Sepp Andres, „wird trockengestellt.“