Taxifahrende Akademiker, Fachkräfte, die viel weniger verdienen als Bachelorabsolventen: Es gibt viele Aussagen, die die Realität verzerrt darstellen. Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) hat zehn gängige Mythen einem Faktencheck unterzogen. Hier die Ergebnisse:
Fast alle
machen Abitur
Stimmt nicht. Zutreffend ist, dass noch Mitte der 1960er-Jahre lediglich jeder 14. Schulabgänger das Abitur erlangte. Verglichen damit ist die Zahl der Schulabgänger mit (Fach-)Abitur ak-tuell auf einem viel höheren Niveau.
Aber der wesentliche Anstieg erfolgt nicht in den letzten Jahren, sondern bereits bis Anfang der 2000er-Jahre. Dies geschah als politisch forcierte Reaktion auf jahrelange Kritik durch die OECD und angesichts der Akademiker-Engpässe. Seit etwa zehn Jahren ist kein wesentlicher Anstieg der Studienberechtigtenquote mehr zu beobachten.
„Alle mit Abitur
studieren dann auch“
Stimmt nicht. Tatsächlich steigt die Zahl derer, die nach dem Erwerb der Studienberechtigung eine Ausbildung aufnehmen. Während im Jahr 2008 noch 18,4 Prozent der Auszubildenden ein (Fach-)Abitur hatte, waren es im Jahr 2021 rund 30 Prozent. In absoluten Zahlen ausgedrückt: Im Jahr 2008 hatten gut 297000 Auszubildende das (Fach-) Abitur und im Jahr 2022 rund 361000. Von mangelnder Attraktivität der Berufsausbildung für Abiturient kann also nicht die Rede sein.
Diese Entwicklung geht übrigens nicht zulasten des Studiums – die Zahlen der Studienanfänger bleiben insgesamt recht stabil. Vielmehr liegt die Zahl der Neueinschreibungen für einen Bachelor-Studiengang im Wintersemester seit zehn Jahren auf einem hohen Niveau von über 400000. Erst im Wintersemester 2021/22 sank die Zahl der Immatrikulationen auf knapp unter 400000.
Studienboom nimmt
Betrieben Azubis weg
Stimmt nicht. Der aktuelle Auszubildendenmangel lässt sich nicht allein mit einer wachsenden Beliebtheit des Studiums begründen. Er hat sich in den letzten fünf Jahren und insbesondere durch die Folgen der Corona-Pandemie verschärft – und in dieser Zeit ist kein weiterer Anstieg beim Studienboom zu erkennen. Trotz langfristig gewachsener Studierendenzahlen gibt es nach wie vor mehr Ausbildungs- als Studienanfänger.
Die weitverbreitete Annahme, dass es mehr Studierende als Auszubildende gibt, wird dadurch manifestiert, dass in den Medien oft Studienanfänger und duale Auszubildende gegenübergestellt werden. In dieser Darstellung werden also die vollzeitschulischen Ausbildungen unterschlagen. Werden jedoch auch die schulischen Ausbildungsanfänger berücksichtigt, etwa aus den Bereichen Erziehung und Pflege, dann gibt es nach wie vor deutlich mehr junge Menschen, die eine Ausbildung aufnehmen, als solche, die ein Studium beginnen. Dass der Trend zum Studium nicht ursächlich für den aktuellen Auszubildendenmangel ist, bestätigt auch der Blick auf die Berufe mit den aktuell höchsten Anteilen an unbesetzten Ausbildungsplätzen: Klempner, Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk und Fleischer.
In diesen Berufsgruppen sind derzeit mehr als zwei von fünf Ausbildungsplätzen unbesetzt. Auffällig ist: Keine dieser Berufsgruppen steht in direkter Konkurrenz mit einem akademischen Beruf.
Man legt sich
nach der Schule fest
Stimmt nicht. Wer sich nach der Schule für eine berufliche Ausbildung entscheidet, legt sich damit nicht für alle Zeiten fest. Dasselbe gilt für diejenigen, die sich nach dem Abitur für ein Studium entscheiden. Es ist immer möglich, den eingeschlagenen Bildungsweg später an veränderte Zielvorstellungen anzupassen.
Das Bildungssystem ist in den letzten Jahren flexibler und durchlässiger geworden. Allerdings sind die vorhandenen Möglichkeiten wenig bekannt. Seit einem Beschluss der Kultusministerkonferenz von 2009 verleiht auch der Abschluss einer beruflichen Aufstiegsfortbildung (zum Beispiel Meister, Fachwirt, Techniker) eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung, die ohne Einschränkung bei der Studienfachwahl für das Studium berechtigt. Und mit abgeschlossener Berufsausbildung und einschlägiger Berufserfahrung erwirbt man eine fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung.
In einigen Fällen ist zusätzlich eine Eignungsprüfung, ein Beratungsgespräch und/oder ein Probestudium erforderlich.
Entweder Studium
oder Ausbildung
Stimmt nicht – es gibt längst Mischformen. Mit dem dualen Studium existiert ein Ansatz, der berufliche und akademische Bildung kombiniert. Dieses Modell wird gerade aufgrund seiner Symbiose von Wissenschaftlichkeit und Praxisbezug zunehmend nachgefragt: Die Anzahl der dual Studierenden hat sich in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt, von 64100 im Jahr 2012 auf 120500 im Jahr 2022.
Abbrechen heißt
scheitern
Stimmt nicht. Einmal ganz abgesehen davon, dass es unterschiedliche Gründe für einen Studien- oder Ausbildungsabbruch gibt: Wenn jemand etwa im Lauf des Studiums realisiert, dass er oder sie in einer beruflichen Ausbildung besser aufgehoben ist, kann eine Umorientierung durchaus sinnvoll sein. Viele als „Studienabbruch“ gezählte Fälle sind tatsächlich gezielte und nachvollziehbare Umorientierungen im Bildungsweg.
Eine Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung hat gezeigt, dass rund 43 Prozent der Studienabbrecher ein halbes Jahr nach ihrer Exmatrikulation eine Berufsausbildung aufgenommen haben.
Im Hinblick auf Ausbildungsabbrecher zeigt eine Analyse der Daten des Nationalen Bildungspanels, dass es sich bei den Abbrüchen oft um Suchprozesse handelt. Ob ein Abbruch problematisch wird, hängt davon ab, was im Anschluss passiert: In den meisten Fällen wird eine neue Ausbildung in einem anderen Betrieb oder in einem anderen Beruf aufgenommen – oder auch in ein Studium gewechselt.
Allerdings gibt es etwa fünf Prozent der Abbrecher, die sich dauerhaft von der Berufsausbildung abwenden.
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