Berufswahl mutig angehen

von Redaktion

Frederic Keller, Gründer von Mutmacher, im Interview

Berufswahl muss nicht die „Qual der Wahl“ sein, findet Frederic Keller, Gründer von Mutmacher. Im Interview spricht er von den Hürden, die es zu überwinden gilt und gibt Tipps, wie Schüler und Schülerinnen den für sie passenden Beruf finden können.

Warum fällt es Schülern so schwer, eine realistische Idee zu entwickeln, wo sie beruflich hinwollen?

Es ist eine Kombination aus mehreren Faktoren, die es Schülern schwer macht, eine realistische Vorstellung von ihrer beruflichen Zukunft zu entwickeln. Zuerst einmal stehen sie am Anfang ihres Lebensweges und haben naturgemäß wenig Erfahrung mit der Arbeitswelt. Sie kennen hauptsächlich die Berufe, die in ihrem familiären Umfeld oder in den Medien präsent sind. Viele Berufsbilder, besonders in neuen oder Nischenbranchen, sind ihnen unbekannt.

Die Schule ist primär auf Wissensvermittlung ausgerichtet und weniger darauf, Schülern zu helfen, ihre Stärken und Interessen zu entdecken und diese mit potenziellen Berufen zu verbinden. Eine gewisse Unsicherheit, was die Zukunft betrifft, verstärkt durch schnelle Veränderungen in der Arbeitswelt durch Digitalisierung und Globalisierung kommt noch hinzu.

Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt zudem, dass Jugendliche tendenziell unsicher sind, welche Fähigkeiten in der Zukunft gefragt sein werden und wie sie diese erwerben können. Sie brauchen Orientierungshilfen, die ihnen zeigen, welche Schritte für bestimmte Berufswege notwendig sind.

Ist die Berufswahl für Schüler mit einem guten Abschluss eine Freiheit, die sie überfordert?

Ein guter Schulabschluss eröffnet theoretisch viele Wege, kann aber paradoxerweise zu Überforderung führen. Die ‚Qual der Wahl‘ kann zu Lähmung statt zu Freiheit führen. Gerade leistungsstarke Schüler stehen unter dem Druck, ihr Potenzial voll ausschöpfen zu müssen und ‚etwas daraus zu machen‘. Dieser Druck kann so stark sein, dass sie sich nicht trauen, ihren Interessen zu folgen, besonders wenn diese nicht den traditionellen Vorstellungen von ‚Erfolg‘ entsprechen.

Eine Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung weist darauf hin, dass leistungsstarke Schüler oft Angst haben, den ‚falschen‘ Weg einzuschlagen und dadurch Zeit oder ihre Talente zu verschwenden. Sie benötigen daher eine Beratung, die ihnen hilft, ihre eigenen Werte und Ziele zu reflektieren und nicht nur die vermeintlich prestigeträchtigsten Optionen zu verfolgen.

Warum finden Schüler und Angebot nicht zusammen?

Die Angebote zur Berufsorientierung sind oft nicht auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler zugeschnitten. Viele Programme liefern Informationen ‚von der Stange‘, die nicht auf die persönlichen Stärken, Interessen und Lebensumstände der Jugendlichen eingehen. Dazu kommt, dass viele Angebote nicht dort präsent sind, wo Jugendliche sie suchen oder brauchen. Sie sind online nicht auffindbar oder sprechen die Sprache der Jugendlichen nicht.

Ein weiteres Problem ist die fehlende Praxisnähe. Viele Angebote sind zu theoretisch und geben keinen Einblick in den Arbeitsalltag. Das macht es schwer für Schüler, sich vorzustellen, wie ihre Zukunft in einem bestimmten Beruf aussehen könnte. Eine Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zeigt außerdem, dass Berufsberatungen oft nicht genügend auf die schnelllebigen Veränderungen des Arbeitsmarktes reagieren und damit nicht aktuell genug informieren können.

Um diese Kluft zu überbrücken, braucht es Angebote, die flexibel auf individuelle Bedürfnisse eingehen können und die Jugendlichen dort abholen, wo sie stehen – sowohl geografisch als auch digital.

Wie helfen Sie den Schülern?

Unser Ziel ist es, die Berufsorientierung zu verändern. Wir wollen, dass die Schüler mit Begeisterung und Mut an ihre Zukunft denken. Dazu haben wir verschiedene Programme entwickelt, die praktisch, motivierend und auf Augenhöhe sind.

Im ‚Mutmacher-Seminar‘ etwa arbeiten wir mit den Schülern an einem Fünf-Schritte-Plan, der ihnen hilft, ihre persönlichen Interessen und Stärken zu erkennen und diese mit möglichen Berufswegen zu verknüpfen.

Wir diskutieren nicht nur über Berufe, sondern auch über Lebensziele und Träume. Es geht darum, den Schülern das Rüstzeug zu geben, damit sie selbstbewusste und informierte Entscheidungen über ihre Zukunft treffen können. Mit unserem ‚Traumjob Campus‘ bieten wir eine digitale Lernplattform an, die mit Erklärvideos und interaktiven Modulen arbeitet. Hier können die Schüler in ihrem eigenen Tempo lernen und sich mit der Arbeitswelt von morgen vertraut machen.

Unsere Angebote sind eng mit der realen Arbeitswelt verknüpft. Wir arbeiten mit über 290 Partnerschulen in 13 Bundesländern und vielen regionalen Unternehmen zusammen, um den Schülern authentische Einblicke zu ermöglichen. Wir setzen auf Authentizität und persönliche Erfahrung. Das Team hinter ‚Mein mutiger Weg‘ besteht aus jungen Menschen, die selbst erst vor kurzem vor der Berufswahl standen. Wir wissen also aus Erfahrung, welche Fragen die Jugendlichen bewegen.

Unser Ansatz ist es, nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern die Schüler aktiv in den Prozess einzubeziehen. Wir motivieren sie, selbst zu erforschen, was ihnen Spaß macht und wo ihre Talente liegen. Dabei nutzen wir moderne Methoden wie Coachingcalls und interaktive Workshops. Wichtig ist uns auch der soziale Aspekt. Wir schaffen eine Gemeinschaft, in der sich die Jugendlichen unterstützt und verstanden fühlen. Das stärkt ihr Selbstvertrauen und ihre Bereitschaft, sich mit ihrer beruflichen Zukunft auseinanderzusetzen.

Laut Lernpsychologie müssten Praktika der Königsweg sein. Aber an Gymnasien gibt es kaum Einblicke in die berufliche Praxis. Wie erleben Sie das in den Workshops?

Die Diskrepanz zwischen Schülern und den verfügbaren Beratungsangeboten liegt oft darin, dass Informationen nicht maßgeschneidert sind. Nehmen wir zum Beispiel einen Schüler, der sich für Technologie interessiert, aber aus einer Familie kommt, die in traditionellen Berufen arbeitet. Er mag von den Angeboten der IHK oder Arbeitsagenturen wissen, findet dort aber keine spezifischen Informationen, die auf seine Situation zugeschnitten sind oder ihn persönlich ansprechen.

Hier setzt ‚Mein mutiger Weg’ an, indem wir individuelle Beratungsgespräche und Workshops anbieten, die auf die persönlichen Interessen und Lebensumstände der Schüler eingehen. Wir helfen ihnen, ihre eigenen Stärken und Wünsche zu erkennen und verbinden sie mit realen Berufsbildern und Fachleuten aus den entsprechenden Bereichen.

Neben denjenigen, die die Qual der Wahl haben, gibt es diejenigen, die einfach keinen Ausbildungsplatz bekommen. Wer ist betroffen? Wo liegen hier die Probleme? Hat sich hier etwas in den vergangenen Jahren getan?

Oft sind es Jugendliche aus sozial benachteiligten Verhältnissen oder mit weniger akademischem Hintergrund, die Schwierigkeiten haben, einen Ausbildungsplatz zu finden. Die Probleme reichen von fehlender Unterstützung im persönlichen Umfeld bis hin zu strukturellen Barrieren im Bildungssystem.

Die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass diese Gruppen überproportional vertreten sind, wenn es um unbesetzte Ausbildungsstellen geht. Die Gründe hierfür sind vielschichtig: Oftmals spielen Vorurteile und mangelnde Netzwerke eine Rolle. Bildungsinstitutionen erreichen diese Jugendlichen nicht immer effektiv, und die jungen Menschen selbst wissen oft nicht, wie sie ihre Fähigkeiten und Interessen in Bewerbungen darstellen können.

Ein weiteres Problem ist die Diskrepanz zwischen den angebotenen Ausbildungsplätzen und den gewünschten Berufsfeldern der Jugendlichen. Es gibt Branchen mit einem Überangebot an Bewerbern und andere, die händeringend nach Auszubildenden suchen.

Hier fehlt es an einer Vermittlung zwischen den Interessen der Jugendlichen und den Bedürfnissen des Marktes.

In den letzten Jahren gab es einige Initiativen, um diese Probleme anzugehen. So wurden beispielsweise Programme ins Leben gerufen, um Unternehmen zu ermutigen, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen und insbesondere benachteiligte Jugendliche zu fördern. Es gibt auch verstärkte Bemühungen, die Berufsorientierung in Schulen zu verbessern und Praktika sowie Ausbildungsmessen zugänglicher zu machen.

Trotz dieser Bemühungen bleibt die Situation herausfordernd. Die Corona-Pandemie hat zusätzliche Hürden geschaffen, da viele Betriebe ihre Ausbildungsaktivitäten reduziert oder ausgesetzt haben. Dies hat die Konkurrenz um die verbleibenden Plätze verschärft und die Notwendigkeit einer gezielten Unterstützung und Beratung noch wichtiger gemacht.

Es ist klar, dass es keinen Einheitsansatz geben kann. Maßgeschneiderte Lösungen, die sowohl die individuellen Bedürfnisse der Jugendlichen als auch die Anforderungen des Arbeitsmarktes berücksichtigen, sind notwendig, um jedem jungen Menschen eine faire Chance auf einen Ausbildungsplatz zu geben.

Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, diese Barrieren zu durchbrechen. Unser Ansatz ist es, jedem jungen Menschen unabhängig von seiner Herkunft oder seinem schulischen Werdegang zu zeigen, dass er Potenzial hat und dass es Wege gibt, dieses zu nutzen.

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