Das Eingangsportal des Altstadtfriedhofs ist mit historischen Grabplatten geschmückt.
Gräberfeld, Totenhof, Kirchhof, Gottesacker – Friedhöfe haben verschiedene Namen und unterschiedliche Gesichter, aber auch eine große Gemeinsamkeit: Es sind Orte der Trauer, aber auch Orte des Trostes, der Besinnung und der Begegnung. Der Altstadtfriedhof in Wasserburg ist so ein meditativer Ort, dem ein besonderer Zauber innewohnt.
Er ist wie ein Buch mit vielen Seiten. Tausende Menschen und ihre Geschichten wurden hier im Laufe von Jahrhunderten beschrieben und begraben. Ihre Grabmale sind Kulturdenkmäler und das Gedächtnis der Stadt.
Die einseitig angrenzende Stadtmauer aus dem Jahr 1120 mit den in die Wand eingelassenen historischen Grabplatten und den kolossalen Statuen, die aus der Klosteranlage des Augustiner Chorherrenstifts nach dessen Abbruch 1803 nach Wasserburg gebracht wurden und über den Grabstellen thronen, tun ihr Übriges. Ebenso wie das repräsentative Portal, das 1855 in die Stadtmauer gebrochen wurde.
Ein regelrechter Blickfang sind die bedeutsamen Grabplatten, die damals als sogenannter Kulturschutt im Friedhof lagerten und das Portal als Schmuckelemente dekorativ umranden.
Der Altstadtfriedhof im Hag wurde 1544 angelegt, nachdem die ursprüngliche Anlage an der Pfarrkirche St. Jakob zu klein wurde. Bis dahin hätten viele Bürger der damaligen Bestattungskultur entsprechend, den Wunsch gehegt, im Tode in Epitaphien den verehrten Reliquien der Heiligen möglichst nahe zu sein, erzählt Irene Kristen-Deliano. Sie macht als „StadtEntdeckerInn“ Gästeführungen und ist bestens mit der Geschichte der Innstadt und Bestattungsritualen vertraut.
„Je näher, desto besser für die Auferstehung“, sei die Überzeugung der Menschen früherer Jahrhunderte gewesen. Hohe kirchliche Würdenträger, aber auch gesellschaftlich hochrangige Persönlichkeiten seien deshalb nahe am Altarraum oder innerhalb der Gotteshäuser begraben worden.
Für „die gewöhnlich Sterblichen“ sei der Friedhof um die Kirche angelegt und häufig mit einer Mauer umgeben worden. Der Name Friedhof bedeute dementsprechend im mittelhochdeutschen: umfriedeter Platz.
Schutz vor
unerlösten Seelen
Für die Friedhofsmauern habe es gute Gründe gegeben. Sie sollten die Welt der Toten von der Welt der Lebenden trennen. Zudem sollte der Friedhof in der christlichen Welt als geweihter und heiliger Ort umschlossen worden. Darüber hinaus habe die Friedhofsmauer der Überlieferung nach, Schutz vor den unerlösten Seelen bedeutet, sagt Kristen-Deliano.
Doch die Bestattung in- mitten der Stadt wurde nicht nur wegen der hygienischen Gegebenheiten im Laufe der Zeit zum Problem. Die Lebenserwartung war im Mittelalter aufgrund von Krankheiten und Kriegen nicht sehr hoch und so wurde es auch auf dem Kirchhof St. Jakob eng.
Zunächst habe man sich zu damaliger Zeit damit beholfen, die Ruhefristen zu beschränken und die Gebeine nach deren Ablauf in Beinhäusern aufzubewahren. Ein Beleg dafür ist der Fund von 171 menschlichen Schädeln, die geordnet in mindestens drei Lagen und drei Reihen am Fuße der Stadtmauer deponiert worden waren und bei Sanierungsarbeiten im Sommer 2021 entdeckt wurden.
Doch auch schon an anderen Stellen wurden bei Ausgrabungen in der Altstadt Skelette und Gebeine gefunden, beispielsweise beim Fletzinger, am Gerbl Kloster oder auf der Burg mit dem ehemaligen Amtsgerichtsgefängnis.
Im 16. Jahrhundert sei schließlich auf einem Hopfen- und Kräutergarten und der alten Bleichwiese für Färber und Wachszieher im Hag der neue Friedhof angelegt worden, der um 1634 vermutlich zum Massengrab für die Opfer der Pest wurde. Es stand geschrieben, dass niemand heimlich beerdigt werden dürfe, berichtet Kristen-Deliano. Damit habe man den Tod und seine Begleiterscheinungen hinter die Stadtmauer ausgelagert, die schützen und zugleich mit dem immergrünen Efeu-Bewuchs die Auferstehung symbolisieren sollte.
Auch die Totengräber durften nicht mehr in der Stadt wohnen. Sie wurden in einem Haus auf dem Gelände und dem Totengräberturm untergebracht. Bei der Beerdigung wohlhabender Bürger habe der Türmer der Frauenkirche auf Bestellung eine traurige Melodie, also „Trübsal geblasen“.
Arme Leute habe man dagegen „sang- und klanglos“ unter die Erde gebracht. Gruften seien begüterten Familien vorbehalten gewesen. „Die Leute starben daheim und wurden in ihren Betten aufgebahrt“, sagt Kristen-Deliano.
Dem Scheintod
sicher entgehen
Um ganz sicher einem Scheintod zu entgehen, habe man die Toten drei Tage lang aufgebahrt, ihnen einen Spiegel vor die Nase gehalten und mit Stichen in die Fußsohlen die Reflexe getestet. Man habe Totenwache gehalten, es habe eine Waschung des Leichnams gegeben und dann sei die Einsargung erfolgt.
1803 wurde der Friedhof an der Jakobskirche endgültig aufgelöst. 1837 wurde das erste Leichenhaus errichtet, in dem die Toten unter hygienischen Vorkehrungen aufgebahrt werden konnten.
Ein Jahr später erhielt der Wasserburger Maler Engelbert Zimmermann den Auftrag zur Ausschmückung der Halle mit acht Gemälden. Erzählungen nach wollte der Künstler ursprünglich 16 verwirklichen. Ausgeführt wurden schließlich nur sieben.
Die Totentanz-Motive sind stark angelehnt an die Werke Hans Holbeins des Jüngeren, der den Tod Anfang des 15. Jahrhunderts in all seinen Facetten darstellte. Auch Zimmermanns Werke sollten in makabrer Darstellung die Unausweichlichkeit des Todes zeigen.
Im späten Mittelalter fanden Totentänze als spiritueller Ausdruck, als eine Art Fastnachtsspiele statt. „Vielleicht, um das Unfassbare greifbarer zu machen und der Hoffnung, durch die Verkleidung für den Tod unauffindbar zu werden“, vermutet Kristen-Deliano.
Mystik und leibliches Wohl seien dabei eng verknüpft worden. Der Leichenschmaus habe manchmal gleich auf dem Friedhof stattgefunden.
An Allerseelen und der darauffolgenden Seelenwoche seien die armen Seelen, laut damaligem Volksglauben, auch in körperlicher Form nach Hause zurückgekehrt: Zur Labung seien Seelenbrote gebacken worden. In der Stube hätten Wachsstöckl oder Pfennig-Lichter gebrannt, die den armen Seelen im Fegefeuer Labsal sein sollten. Deshalb die Gebetsbitte: „Das ewige Licht leuchte ihnen“, erläutert Kristen-Deliano.