Wer viel fliegt, hat bestimmt schon mal eine Turbulenz erlebt. Oft bleibt es bei einem Rütteln oder leichten Absacken, doch in seltenen Fällen werden Passagiere und Crewpersonal infolge schwerer Turbulenzen verletzt. Vor wenigen Tagen ist das auf einem Flug von London nach Singapur passiert. Ein Mensch starb, über 50 Menschen wurden verletzt. Was ist da passiert? Anruf bei Peter Tomasch, Sprecher von Singapore Airlines. „Wir stecken gerade noch mitten in den Ermittlungen, werten alle Daten, auch die der Blackbox, aus. Momentan können wir nur spekulieren. Es gibt Anhaltspunkte, dass alles sehr schnell passiert ist, ohne Vorwarnung. Möglich wäre, dass es eine Clear Air Turbulence war.“ Diese auf Deutsch benannten Klarluftturbulenzen sind besonders tückisch. Tomasch erklärt: „Eine Clear Air Turbulence ist als solche auch für Piloten meist nicht vorhersehbar, sie tritt ohne Vorwarnung auf, erscheint auch nicht auf dem Radar. Clear Air Turbulenzen sind unterschiedlich starke Luftbewegungen, die sich kreuzen. Und die dann dafür sorgen, dass – obwohl keine Wolkenbildung oder Gewitter ersichtlich sind – plötzlich starke Turbulenzen auftreten können. Die Flugzeuge selbst halten solche Turbulenzen aus, am Rumpf selbst gab es dem ersten Anschein nach auch bei diesem Flug keine Beschädigungen. Jedoch hat man auf Bildern aus dem Flugzeuginneren gesehen, dass Gegenstände herumgewirbelt wurden, die Löcher in die Verkleidung geschlagen haben.“ Ein traumatisches Erlebnis, das Peter Tomasch keinem Flugpassagier wünscht. Sein wichtigster Tipp für alle, die in nächster Zeit in ein Flugzeug steigen: „Alle Passagiere sollten sich immer anschnallen, sobald sie am Platz sind, egal wie das Wetter ist, egal wie ruhig der Flug ist, auch wenn die Anschnallzeichen nicht leuchten, man weiß nie, ob es nicht doch plötzlich zu Turbulenzen kommen kann.“
Wie entstehen Turbulenzen?
Neben den zuvor besprochenen Clear Air Turbulences können auch Jetstreams ein Grund für Turbulenzen sein. „Das sind Starkwindfelder in der oberen Troposphäre in acht bis zwöl Kilometer Höhe, die je nach Region und Jahreszeit unterschiedlich stark ausgeprägt sind“, erklärt der Luftfahrt-Ingenieur und Pilot Jens Heider vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) auf Nachfrage der dpa. Jetstreams entstehen durch horizontale Temperaturunterschiede in der Atmosphäre. Des Weiteren können in und um Gewitter durch aufsteigende warme und absinkende kalte Luftmassen Fallwinde entstehen, die Turbulenzen auslösen. Daher werden Gewitter generell, wenn möglich, umflogen. Auch vorausfliegende Maschinen können durch Luftverwirbelungen für Turbulenzen sorgen. Und sogar die Topografie am Boden hat Einfluss. „Bergketten können das gesamte Luftpaket anheben“, so umschreibt es Heider. Daten zeigen, dass die turbulentesten Flugrouten über Gebirge führen.
Was passiert bei einem Luftloch? Sackt der Flieger plötzlich ab, spricht man im Volksmund von einem Luftloch. „Die Maschine fliegt dabei in einen Bereich, wo ringsherum die Luft absackt – und dadurch sackt auch der Flieger nach unten“, erklärt Heider der dpa. Und auch Peter Tomasch bestätigt uns gegenüber. „Ich fliege wirklich viel. In ein sogenanntes Luftloch bin ich nur einmal über Lateinamerika geraten. Das ist wirklich ein sehr seltenes Ereignis. Übrigens fliege er immer noch sehr gerne, fühle sich im Flugzeug auch rundum gut aufgehoben.
Hält das Flugzeug solch extreme Belastungen aus?
Auf jeden Fall, weiß Peter Tomasch. Auch wenn flugängstliche Passagiere bei starken Turbulenzen das Gefühl haben, die Maschine würde auseinanderbrechen, sei das angesichts der strengen und sehr auf Sicherheit bedachten Bauvorschriften für moderne Flugzeuge äußerst unwahrscheinlich, bestätigt auch Jens Heider gegenüber dpa. „Nach allem, was man bisher über die bei Turbulenzen auftretenden Kräfte weiß, ist das sogar ausgeschlossen.“
Kann man Turbulenzen vorbeugen? Über die Wetterinformation, die Pilotinnen und Piloten im Zuge der Flugvorbereitung bekommen, wissen sie zumindest oft schon, wo möglicherweise Turbulenzen zu erwarten sind und das berücksichtigen sie bei der Planung des Fluges, wie Heider erläutert.
Wie reagieren Piloten?
Nach Angaben des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) sind Piloten für auftretende Turbulenzen intensiv geschult, können jederzeit – auch während des Flugs mit Autopilot – manuell eingreifen. Sollten sich Turbulenzen ereignen, melden sie dies zusätzlich der Flugsicherung. Andere Cockpitcrews im selben Luftraum können dann darauf reagieren: Sofern es geht, wird in Absprache mit der Flugsicherung versucht, kritische Windfelder zu umfliegen.
Und was, wenn man mehr als nur ein mulmiges Gefühl beim Fliegen hat? Flugangst-Seminare sind gut für Menschen, die Angst haben abzustürzen, erklärt Tomasch, da sie erklären, wie Fliegen funktioniert und warum dies aus technischer Sicht bei modernen Verkehrsflugzeugen so gut wie unmöglich ist. „Außerdem lernen Teilnehmer Entspannungsübungen“, so Tomasch. Was die Passagiere des schlimmen Flugs vor wenigen Tagen betreffe, so sei es für Singapore Airlines gerade das Wichtigste, „dass wir der Familie des Todesfalls unser aufrichtiges Beileid aussprechen, aber auch für die Menschen an Bord da sind, die diesen traumatischen Zwischenfall erlebt haben. Wir werden ihnen mit jeder Unterstützung zur Seite stehen, die sie benötigen, um in Ruhe psychisch und physisch zu heilen.“
Julitta Ammerschläger, Tom Nebe/dpa