Turins Kaffeehäuser waren und sind Treffpunkte für Künstler, für einflussreiche Persönlichkeiten – und für Genießer aus aller Welt. So sollen sich im Caffè Pasticceria Baratti & Milano in der historischen Einkaufspassage Galleria Subalpina von 1874 schon immer Politiker wohlgefühlt haben. Das Caffè San Carlo prunkt mit Kristallleuchtern, viel Gold, Marmor und Spiegeln, wirkt herrlich altmodisch. Dabei galt es früher als supermodern, hatte als erstes öffentliches Haus eine Gasbeleuchtung.
Ein Glas „Flüssig-Torte
Aber zurück zum Bicerin, der flüssigen, süß-herben Dreischichtentorte im „Gläschen“, der Übersetzung für „Bicerin“. Welche Kaffeesorte er verwendet, bleibt natürlich dem Barista überlassen. Die Chance, dass es ein Lavazza ist, ist aber hoch, schließlich wird Lavazza seit über 100 Jahren in Turin geröstet. 1895 eröffnete Luigi Lavazza seinen ersten Laden in Turin. „Lavazza Paradiso in tazza“ lautete der Werbeslogan, der Kaffee als „Paradies in der Tasse“. Logisch, dass man auch im Museo Lavazza einen ganz ordentlichen Espresso und einen Bicerin bekommt. Aber Achtung: Der Bicerin ist kein Martini, er wird weder geschüttelt und auch nicht gerührt!
Wermut und Nougat
Apropos Martini: Man könnte noch ein weiteres klassisches Café ansteuern, vielleicht das Caffè Bar Platti, gegründet 1875. Hier soll sich der Schriftsteller Cesare Pavese mit seinem Verleger Giulio Einaudi oft getroffen haben. Und hier wurde schon 1897 der Fußballverein Juventus gegründet. Oder eben das Café Martini. Der Name ist natürlich kein Zufall – auch der berühmte Wermut stammt aus dem Piemont. Drei Angestellte einer Weinhandelsfirma hatten 1863 mit der Produktion des Likörweins mit dem Wermutkraut begonnen, ein Start-up sozusagen.
Zugeprostet wird in Italien mit „Cin Cin!“. Das aber zitiert die Konkurrenz, nämlich Cinzano. Bereits 1757 hatten in Turin die Brüder Cinzano ein Geschäft mit angrenzendem Labor eröffnet. 1960 kreierte die Wermut-Firma die geniale Kampagne mit dem Trinkspruch „Cin Cin, Cinzano“.
So gestärkt, kann man den Aufstieg auf die Mole Antonelliana wagen, diesen eigenartig spitz aufragenden Bau. Errichtet 1863, war es mit fast 170 Metern Höhe das höchste gemauerte Bauwerk Europas. Ursprünglich sollte es eine Synagoge werden, aber die gigantomanischen Ansprüche des Architekten überstiegen die finanziellen Möglichkeiten der Gemeinde. Die Stadt kaufte den Bau. Heute ist dort das Filmmuseum Italiens untergebracht. Mit dem Panoramaaufzug kann man die 85 Meter hinauffahren und einen Rundumblick auf Turin genießen.
Wer davon wieder einen kleinen Hunger bekommen hat, könnte sich in den Bars der Stadt, also den Cafés, mit Schokolade versorgen. Meistens steht direkt an der Kasse eine kleine Auswahl bereit, nicht zu übersehen sind die in Goldpapier eingepackten zeltförmigen Gianduiotti, eine Nougatspezialität aus den piemontesischen Haselnüssen „Tonde Gentili delle Langhe“. Die Leckerei wurde aus der Not geboren: Als im 19. Jahrhundert die Steuer auf ausländische Luxusgüter wie Kakao angehoben wurde, streckte ein Chocolatier die Masse für Pralinen mit geriebenen Haselnüssen. Passenderweise bekam das zartschmelzende Goldstück den Namen der Karnevalsfigur Gianduja, einem pragmatisch denkenden Bauern der Commedia dell’arte.
Grissini für den Prinzen
Wer jetzt genug von den Schleckereien hat und lieber einen Aperitivo mit etwas Knusprigem zu sich nehmen möchte – bitte schön: Auch die Grissini stammen aus Turin. Das fingerdünne lange Gebäck schmeckt hier weitaus feiner als die Dinger, die in Pizzerien eingepackt auf dem Tisch liegen. Auch zu den Grissini gehört eine Geschichte. Die Brotstangen wurden für einen kranken Prinzen aus dem Königshaus Savoyen gefertigt. Der vertrug kein frisches Brot.
Und wenn wir schon beim Königshaus angekommen sind, ist es Zeit für eine königliche Brotzeit, die „merenda reale“. Als Turin die Hauptstadt des Königreichs Savoyen war, speiste man am Nachmittag einen Happen. Man reichte Gebäck zur heißen Schokolade, die mit Wasser und dunkler Schokolade angerührt wird, eine Art „Five o‘ clock“-Kakao also. Dazu gibt es die Kekse „Bagnati“ und noch mehr Schokolade: „Diablotinti“. Dieses Gedeck servieren immer noch die Caffetteria del Castello di Rivoli und das Caffè Reale Torino. Letzteres befindet sich im Schloss. Die barocke Residenz aus dem 17. Jahrhundert gehört zum Weltkulturerbe und beherbergt die wichtigste Gemäldesammlung der Stadt.
Weltbeste Weinregion
Unsere letzte Einkehr gilt Eataly, eine ziemlich geniale Mischung aus Supermarkt, Restaurant und Markthalle. Hier kann man sich durch regionale Spezialitäten und Delikatessen aus ganz Italien futtern. Dazu passt ein Gläschen Wein, schließlich zählt das Piemont zu den besten Weinregionen der Welt. Vermutlich kultivierten schon die alten Römer die Nebbiolo-Traube in den Hügeln der Langhe. Daraus werden zwei vollmundige Rotweine gekeltert, Barolo und Barbaresco.
Klar, dass das perfekte Souvenir aus Turin auch was mit Essen zu tun hat. Wie gut, dass es im Eataly von Aperitif über Mozzarella bis Trüffel alles zu kaufen gibt. Und damit die Zubereitung klappt: Piemontesisch sind zwei weltbekannte Hersteller von Küchenaccessoires, Designfabrik Alessi und Bialetti, der mit den Espressomaschinen. Ob der Bicerin zu Hause auch so gut schmeckt? Ausprobieren. Und wenn nicht: wieder hinfahren!
Barbara Schaefer