Ausblick genießen: Besucher bewundern das Pa-norama der Bardenas Reales.
Es ist ein gefährlicher Weg, den die kleine Schafherde von Koldo Vicente Eseberri an diesem Tag über die Gipfel der Pyrenäen zurücklegt. Die ungebändigte Energie zweier Hirtenhunde ist notwendig, um die Tiere den steilen Abhang hinabzuführen. Sua, ein weißer Pyrenäen-Berghund, übersetzt heißt das Feuer, gibt den Weg vor und drängt die vorderen Tiere abwärts. Boira, Nebel, der braune baskische Hirtenhund, rennt auf einen kurzen Zuruf von Eseberri den Abhang hinauf und zwingt auch die letzten Nachzügler, die steilen Felsen zu überwinden. Dann ist erst einmal Pause, für die Tiere und ihren drahtigen jungen Hirten. Hier oben, knapp unterhalb des Berges Orhi, dem ersten Pyrenäen-Zweitausender östlich des Atlantiks, erhalten die Schafe für ein paar Stunden Gelegenheit, die kargen Wiesen abzugrasen. Danach geht es weiter abwärts, ins Winterquartier.
Aufs Schaf gekommen
Transhumanz nennt sich diese Form der offenen Schafhaltung auf Wiesen und Feldern, sommers in der Höhe, winters in den Ebenen der Region Navarra. Doch sie ist selten geworden. Es gibt nur noch vier Hirten in der Region, die ihre Tiere die ganze Strecke hinabtreiben. Das erzählt Gustavo Goiena bei einem Rundgang mit Schäfer Eseberri unterhalb des Gipfels. Goiena führt Besucher im Auftrag des nahen Naturschutzzentrums durch den Irati-Wald, einen Buchen- und Fichtenwald auf den Pyrenäen-Höhen, dessen 17000 Hektar Fläche abgelegen und einsam sind. Sechs Tage dauerte es, bis die Schäfer früher ihre Winterweiden erreicht hatten, rund 120 Kilometer mussten sie mit ihren Tieren zurücklegen, erzählt Goiena. Über Jahrhunderte haben sich die Wege von den Weiden in der Höhe hinab ausgebildet, ein Netzwerk sei damals entstanden. Längst nicht mehr intensiv benutzt, werden sie nach und nach als Wanderwege und Mountainbike-Trails ausgewiesen.
Für Eseberri und seine Herde ist das Ziel aber schon nach ein paar Stunden erreicht. Sein Weg und der seiner Schafe endet kurz vor dem Bergdorf Ochagavia, ein paar Kilometer unterhalb des Gipfels. In einem neu erbauten Stall wird er seine Schafe über den Winter einpferchen, die Tiere, die über den Sommer trächtig geworden sind, von der Herde trennen, um ab Februar, nachdem sie geworfen haben, ihre Milch zu Pyrenäen-Käse zu verarbeiten. In den Nebengebäuden des Stalls hat sich Eseberri eine Melkstation und eine Käserei eingerichtet, mit der er sein Auskommen bestreiten möchte. Die kleinen festen Laibe, mal purer Schafskäse, mal eine Mischung aus Schaf- und Ziegenkäse, verkauft er bisher noch auf regionalen Märkten. Doch schon bald möchte er sie auch über den Handel vertreiben. Das zumindest ist sein Plan. In diesem Jahr hofft er, um die 3000 Stück an den Mann bringen zu können.
Alles verändert sich
In einer Nebenstraße des Dorfes, inmitten hoher Steinhäuser, die alle statt der Hausnummer ihren eigenen Namen haben, bereitet sich Maria darauf vor, ein paar Gänge zu erledigen. Fünf Töchter hat die heute 88-Jährige in einer Zeit großgezogen, als die Transhumanz noch zum Alltag gehörte. Über Wochen und Monate, von November bis Ende März, waren die Männer im Winter nicht zu Hause. Sie hüteten ihre Tiere in der Ebene und produzierten dort den Käse. „Die ganze Verantwortung für das Haus, für den Haushalt, für die Kinder, die lag bei mir“, erzählt Maria, Erfahrungen, die sie auch an ihre 13 Enkel und vier Urenkel weitergibt. Mit der Transhumanz haben sich auch die Orte verändert.