„Das Wandern ist des Müllers Lust“ – so lautet zumindest die erste Zeile des bekannten Kinderliedes. Doch ob der Müller gerne bei Schnee und Nebel mitten in den Bergen unterwegs gewesen wäre, bezweifle ich langsam, während ich versuche, gegen die Schneeflocken anzublinzeln. Eigentlich geht man im Juni von sonnigen Tagen aus, doch der Wettergott hat andere Pläne und testet unsere Ausrüstung. Wer in höheren Lagen unterwegs ist, muss allerdings jederzeit mit allem rechnen – vor allem beim Weitwandern. Ich bin nämlich auf dem Alpe-Adria-Trail unterwegs.
Ohne Fußabdruck
in den Bergen
Auf 43 Etappen führt der Weg 750 Kilometer durch Österreich, Slowenien und Italien. Schon seit mehr als zehn Jahren lockt die Route Natur- und Wanderfreunde an, die die schönsten Seiten der Alpen-Adria-Region entdecken wollen. Technisch gesehen ist die Begehung des Trails wenig schwierig, eine gewisse Trittsicherheit und Kondition sind aber erforderlich. Im Hafenstädtchen Muggia, in der Nähe von Triest, endet die Route. Doch für mich geht es nicht ans Meer. Zusammen mit einer kleinen Wandergruppe bin ich im Kärntner Teil des Trails unterwegs, genauer gesagt auf den Etappen 12, 13 und 14 – und das klimaneutral. Dahinter verbirgt sich ein neues Pilotprojekt, das es ermöglichen soll, „ohne Fußabdruck“ in den Bergen unterwegs zu sein. Wie das funktioniert? Man übernachtet in nachhaltig geführten Unterkünften, die zudem auf regionale Küche setzen, und für den Gepäckservice werden elektrische Fahrzeuge eingesetzt. Um bei der Anreise nicht unnötig viel C02 in die Umwelt zu blasen, reisen wir mit der Bahn an.
Von München aus geht es bequem mit der ÖBB in rund vier Stunden zum Millstätter See. Am etwas verlassen wirkenden Bahnhof angekommen, geht es mit dem Bus weiter zum Hotel Moserhof in Seeboden. Das familiengeführte Vier-Sterne-Wellnesshotel punktet mit Zimmern aus Naturmaterialien, Obst und Gemüse stammen aus eigenem Anbau. Beim Abendessen treffen wir auf unseren Begleiter der nächsten Tage: Stefan Lieb-Lind von den Kärntner „Trail Angels“. Das Unternehmen hat die Aktion „Wandern ohne Fußabdruck“ in enger Zusammenarbeitet mit Kärnten Werbung ins Leben gerufen und entwickelt. Stefan ist staatlich geprüfter Berg- und Skiführer sowie Extremkletterer – und durch seine ruhige und sympathische Art ein perfekter Begleiter. In froher Erwartung, in den nächsten Tagen endlich wieder in meinen Wanderschuhen zu stecken, falle ich nach dem köstlichen Abendessen ins Bett.
Der nächste Tag lässt nach dem Öffnen der Vorhänge nichts Gutes erwarten. Regen. Beim Frühstück werden die Optionen diskutiert, das strombetriebene Nockmobil könnte uns bis zur Pichlhütte fahren – und uns etwas Nässe ersparen. Dadurch verschlechtert sich natürlich unsere CO2-Bilanz, aber als Gruppe entscheiden wir uns dafür. Die Hütte befindet sich auf 1336 Metern, hoch über den Millstätter See. Zumindest theoretisch, denn Nebel und Wolken versperren die Sicht ins Tal.
Die nette Wirtin empfängt uns herzlich in ihrer warmen Stube und macht uns sogar noch eine Tasse Kaffee, während wir auf die anderen warten. Denn das Nockmobil muss zweimal fahren, um unsere Gruppe nach oben zu befördern. Die Hütte könnte kitschiger nicht eingerichtet sein, aber ich liebe es. Alles ist aus Holz, von der Decke hängen Geweihe und alte Wagenräder. Gerade, als wir den Regen etwas verdrängt haben, brechen wir auch schon auf. Es geht auf den 2088 Meter hohen Tschiernock.
Vom Regen in
den Schnee
Es wird immer kälter, zum Glück habe ich eine Mütze eingepackt und meine zahlreichen Schichten halten mich warm. Nach einem kurzen Blick in meinem Rucksack wird mir klar, wo ich meine Handschuhe gelassen habe – in meinem Kleiderschrank in München. „Brauchst du welche? Ich habe zwei Paar dabei.“ Eine meiner Wanderkolleginnen hält mir Handschuhe vor die Nase. Meine Rettung. Denn genau in diesem Moment verwandeln sich die Regentropfen in Schneeflocken. Der Wind pfeift von allen Seiten und zerrt an uns. Doch wir gehen tapfer weiter, bis wir das Gipfelkreuz des 2099 Meter hohen Hochpalfennock erreichen. Nach einem Abstecher zum Tschierweger Nock (2010 Meter) steigen wir zur Alexander-Alm und zur gleichnamigen Hütte ab.
An der Alm angekommen, lassen wir uns eine heiße Schokolade schmecken. Die wärmt nicht nur die Seele, sondern auch die eingefrorenen Gliedmaßen. Das Haus bietet sechs gemütliche Zimmer, den Gästen steht sogar ein Almbad zur Verfügung – also mit Feuer beheizbare Holzbadewannen. Beim Abendessen wird klar, welche Gourmet-Perle sich hier in den Nockbergen versteckt. Die hausgemachten Kärntner Nudeln sind ein Gedicht. Das typische Merkmal der Spezialität ist der „gekrendelte“ Rand. „Es heißt, eine Frau darf erst heiraten, wenn sie krendln kann“, erzählt uns Franz-Stefan Glabischnig lachend. Er ist als Koch, Senner und kreativer Kopf der Familie im Einsatz. Die Produkte fürs Essen stammen aus der Landwirtschaft und dem im Tal gelegenen Biohof Portisch der Familie Glabischnig.
Eine Familie
setzt sich ein
Franz-Stefans Eltern Franz und Ursula sind die Eigentümer der Alexander-Alm. Franz war vor mehr als 40 Jahren einer der ersten Landwirte in Kärnten, die sich dem biologischen Anbau verschrieben haben. „Damals wurde ich belächelt“, sagt er. Seit drei Jahren ist die Hütte klimafreundlich, auf dem Dach befindet sich eine Solaranlage. Eine Quelle sorgt für frisches Wasser. Beim Thema Tourismus werden Vater und Sohn deutlich: „Wir wollen keine Massen.“ In den Jahren der Corona-Pandemie seien sie regelrecht überrannt worden. Heute versuchen sie, die Besucherströme zu lenken – etwa durch eine Mautstraße. „Viele haben keinen Respekt, lassen den Müll liegen, erschrecken die Kühe und latschen abseits der Wege“, erklären uns die beiden. Man kann den Frust verstehen. Achtsamkeit und ein Umweltbewusstsein sind die Gebote der Stunde.
Am Morgen erwartet uns ein Slow-Food-Frühstücksbüfett der Extra-Klasse. Nach der Stärkung treten wir die nächste Etappe an. Über die Millstätter Hütte via Kamplnock geht es zur 2091 Meter hohen Millstätter Alm und weiter zum Granattor beim Lammersdorfer Berg. Wir steigen zur Lammsdorfer Hütte (1650 Meter) ab, um uns dort ein wenig aufzuwärmen und eine Mittagspause einzulegen. Doch lang bleiben wir nicht, denn wir wollen noch zum Jufenkreuz und danach hinunter bis in die Ortschaft Matzelsdorf. Wir steigen in das Hotel zur Post in Döbriach ab, dort erwartet uns erneut ein regionales Abendessen.
Alles für den
Käse
Am nächsten Tag schultern wir zum letzten Mal die Rucksäcke. In Radenthein stoppen wir bei der Bio-Heumilch-Schaukäserei Kaslab‘n Nockberge. Familie Glabischnig hat die Genossenschaft mitbegründet und ist eine der Bauernfamilien, die ihre Milch dort abliefert. Köstliche Kuh- und Ziegenkäse sowie andere lokale Bioprodukte kann man in der Kaslab‘n probieren. Wer noch mehr über die Käseproduktion erfahren möchte, sollte unbedingt an einer Führung teilnehmen.
Am letzten Tag ist das Wetter uns endlich wohlgesonnen und wir können draußen in die Sonne sitzen. In wenigen Minuten kommt der E-Shuttle und bringt uns zum Bahnhof. Ich lasse die letzten Tage Revue passieren: Wir haben hervorragend gegessen, einzigartige Menschen getroffen und die frische Kärntner Luft genossen – und am Ende nur einen kleinen CO2-Fußabdruck hinterlassen. Ein gutes Gefühl. Anna Wagner