Die Geburtsstunde der OVB-Heimatzeitungen

von Redaktion

170 Jahre ist es her, dass erstmals eine Ausgabe des Rosenheimer Wochenblatts erschien. Der „Amtliche Anzeiger für das Königliche Landgericht Rosenheim“ enthielt vor allem Bekanntmachungen und Termine, unter anderem wurden die Daten für die öffentlichen Sitzungen am Kreis- und Stadtgericht Wasserburg veröffentlicht. Ein Preisvergleich der Schrannen, was das Getreide in der Region und bayernweit kostet, zeigt, dass der Anzeiger vor allem auch Informationen für die landwirtschaftliche Klientel bieten sollte. Neben amtlichen und privaten Anzeigen gibt es bereits ab der zweiten Ausgabe auch einen Fortsetzungsroman: „Die Erbtochter von Lauterbach“. Das zeigt, dass das Wochenblatt nicht nur über wichtige Veranstaltungen auf dem Laufenden halten, sondern auch ein wenig Unterhaltung bieten sollte.

Zwischen den Zeilen

Mit einer historischen Einordnung dieses Meilensteins der regionalen Presse wollen wir einen Einblick in die Zeit geben, in der die ersten Ausgaben des Rosenheimer Wochenblatts erschienen sind. Im Rahmen der allerersten Ausgabe beleuchten wir die politischen Machtverhältnisse in Rosenheim und dem Königreich Bayern Mitte des 19. Jahrhunderts.

Die Gesellschaft ist im Umbruch: Die Monarchie versucht nach der Revolution von 1848 die alte Ordnung zu restaurieren, während neue Kräfte an Einfluss gewinnen. Unter der Oberfläche brodelt es also gewaltig – auch in Rosenheim.

Spiegel der sich
wandelnden
Gesellschaft

Die ersten Zeilen der Erstausgabe des Rosenheimer Wochenblatts im Januar 1855 sind denkbar unspektakulär. Doch die Erscheinung dieses amtlichen Publikationsmediums für den Markt Rosenheim markiert ein geschichtsträchtiges Ereignis und spiegelt eine sich wandelnde Gesellschaft wider.

Bürger fordern Recht
auf Information ein

Das Amtsblatt sollte nicht nur Bekanntmachungen verbreiten, sondern entsprach auch dem neuen Selbstverständnis der Bürger, die ihr Recht auf Information und Mitsprache einfordern. Allerdings ist es vor allem ein Sprachrohr des Staates. Und so beginnt die erste Ausgabe mit einer pragmatischen Auflistung:

„Das ,Rosenheimer Wochenblatt‘ erscheint jeden Sonntag morgens um 8 Uhr. Der Abonnementspreis beträgt jährlich 1 fl. 36 kr., halbjährig 48 kr., vierteljährig 24 kr. Die einzelne Nummer kostet 3 kr. Alle königlichen Postexpeditionen nehmen Bestellungen entgegen. In Rosenheim nimmt Bestellungen entgegen und besorgt Inserate der Bote J. Mannhart. Die Inserationsgebühr beträgt pro Zeile 3 kr. Inserate, die Freitag morgens dem Boten Mannhart überbracht werden, finden im nächsten Blatt noch Aufnahme. Passende Beiträge werden mit Dank entgegengenommen.“

Eine Stadt im
Umbruch

Rosenheim Mitte des 19. Jahrhunderts: Fabriken entstehen, Warenströme nehmen zu, und der Marktflecken mit rund 3000 Einwohnern entwickelt sich zu einer florierenden Stadt. Die Zeit ist geprägt von großen Veränderungen. In den Wirtshäusern diskutieren die Menschen über Reformen des Königs Maximilian II. und auch der Eisenbahnbau ist ein großes Thema:

Die Vorstellung, dass bald Waren aus München schneller nach Rosenheim gelangen als mit Pferd und Wagen, erscheint revolutionär.

Weder Fotos noch
politische Meinungen

Noch sind vor allem Wirtshäuser und der Markt der Raum für Diskussionen. Die erste Zeitung, das Rosenheimer Wochenblatt, enthält in seinen frühen Ausgaben weder politische Meinungen noch Fotos. Es richtet sich vor allem an Amtsträger und Händler, berichtet über Entscheidungen des Landgerichts und Marktpreise und fungiert als verlängerter Arm des Staates. So erinnert eine Verordnung an die Notwendigkeit der strikten Kontrolle von Zündholz-Behältern:

„Reibfeuerzeuge in Papier und in ovalen leichten Spanschachteln, die dem Druck nicht widerstehen, sind den Gewerbetreibenden unnachsichtlich wegzunehmen, zu vernichten und die Übertreter anher zur Anzeige zu bringen. Unterlassungen dieses Auftrags haben die strengste Einleitung gegen die säumigen Vollzugsorgane zur Folge.“

Man muss wissen, dass es im 19. Jahrhundert immer wieder zu verheerenden Stadtbränden in Bayern gekommen war. Doch der Tonfall der Meldung lässt noch auf etwas anderes als den mangelnden Brandschutz schließen, nämlich darauf, dass der Staat mit hartem Durchgreifen bei Nichteinhaltung der Vorschriften reagiert.

Denn wie schnell die Dinge aus dem Ruder laufen können, das hat die bayerische Monarchie erst wenige Jahre zuvor erfahren.

Die Märzrevolution
und ihre Folgen

März 1848: Wie ein Flächenbrand verbreiten sich die Unruhen und Proteste in den deutschen Großstädten. Inspiriert von den Ideen der Französischen Revolution und angetrieben von Existenzängsten, Hunger und Armut, kommt es auch in deutschen Städten zu Unruhen. Forderungen nach nationaler Einheit und Mitbestimmung führen zu Barrikadenkämpfen in Berlin und Wien sowie zur Eröffnung der Nationalversammlung in Frankfurt, die eine Verfassung für einen geeinten Nationalstaat ausarbeiten soll.

Politischer Skandal
heizt Stimmung an

In Bayern mischt sich diese Aufbruchstimmung mit der ohnehin wachsenden Wut auf den autokratischen Führungsstil König Ludwigs I. Ein politischer Skandal heizt die Stimmung zusätzlich an: König Ludwig I. hat mit der Tänzerin Lola Montez eine Liaison begonnen und der jungen Schönheit neben einem Adelstitel auch bedeutenden politischen Einfluss am Münchner Hof übertragen.

Aufgrund ihres extravaganten Auftretens und der unaufhörlichen Einmischung in staatliche Angelegenheiten macht sich Lola Montez sowohl beim Volk als auch bei der Regierung einige Feinde.

Im Zuge der Märzrevolutionen 1848 eskaliert die Situation. Lola Montez wird zur Zielscheibe von Protesten und flieht aus München. Am 20. März 1848 dankt schließlich auch König Ludwig I. zugunsten seines Sohnes Maximilian II. ab.

Reform des
Wahlrechts

Maximilian II. gilt als fortschrittlich. Er führt einige liberale Reformen, unter anderem des Wahlrechts, durch.

Doch als 1849 die Frankfurter Paulskirche mit ihrem Vorhaben scheitert und eine Gegenrevolution der Monarchie beginnt, etabliert auch er wieder nach und nach die alte konservative Ordnung in Bayern. Viele der Reformen werden wieder zurückgenommen, die Pressefreiheit und die Vereins- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt, der Einfluss des Adels nimmt wieder zu und strenge Verordnungen sollen weitere Unruhen verhindern.

Einige Bürger fliehen ins Ausland, auch um der politischen Repression und Marginalisierung zu entgehen. Damit sie nicht verschwinden, ohne ihre etwaigen Schulden zu begleichen, werden in den Amtsblättern, auch im „Rosenheimer Wochenblatt“, diese Fälle veröffentlicht.

Auswanderung:
Namen veröffentlicht

So auch in der Ausgabe vom 7. Januar 1855:

„Auswanderung des Peter Süßmaier, Bauernsohn von Sendling, betr. Rubrikat beabsichtigt nach Nordamerika auszuwandern. – Allenfallsige Forderungen gegen denselben sind hierorts binnen 14 Tagen bei Vermeidung der Nichtberücksichtigung anzumelden.“

Die ersten Ausgaben des „Rosenheimer Wochenblatts“ erscheinen also in einer Zeit, als die alte Ordnung versucht, ihre Machtstrukturen zu erhalten, und der Wandel der Zeit doch unaufhaltsam Risse in die Oberfläche bricht. Denn auch wenn die Revolution gescheitert ist, so leben der Demokratiegedanke und die Idee der nationalen Einheit weiter und münden 1871 schließlich in der Gründung des Deutschen Reichs unter Otto von Bismarck.

Rosenheim selbst wächst Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer Stadt mit überregionaler Strahlkraft. 1856 erfolgt der Anschluss ans Eisenbahnnetz, was die Industrialisierung und damit die wirtschaftliche, gesellschaftliche und infrastrukturelle Entwicklung weiter beschleunigt.

1860 kauft der Gründer des „Rosenheimer Wochenblatts“, Erasmus Huber, eine Druckerei am Max-Josefs-Platz und verlegt den Sitz seines Verlags von Wasserburg nach Rosenheim. 1864 wird Rosenheim dann offiziell zur Stadt erhoben und das „Rosenheimer Wochenblatt“ schließlich in „Rosenheimer Anzeiger“ umbenannt.

Amtsblatt hat
erzieherische Funktion

Die ersten Ausgaben geben einen Einblick in diese spannende Zeit des Umbruchs. So wird bei den Schilderungen von Gerichtsprozessen mit genauen Tathergängen und Namen die erzieherische Funktion des Amtsblatts deutlich. Die Mitteilungen über öffentliche Bauprojekte mit Kosten entsprechen dem wachsenden Wunsch der Bürger nach Information und Mitsprache. Beeindruckend ist auch die Auflistung der Vorschriften über die Regelung des Warenverkehrs. Hier werden nicht nur der immense bürokratische Aufwand und die strenge Handelsüberwachung deutlich, sondern auch der unaufhaltsame, steigende internationale Warenfluss.

So scheint die erste Ausgabe des Rosenheimer Wochenblatts nur auf den ersten Blick unspektakulär. Zwischen den Zeilen jedoch erzählt sie viele spannende Geschichten aus dem Leben einer bayerischen Stadt an der Schwelle zur Moderne.

Lesen Sie am Montag, 20. Januar, die zweite Ausgabe des Rosenheimer Amtsblatts und die Einordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse der damaligen Zeit.

Natalie Frank

In Zusammenarbeit mit History Untold

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