Kohlendioxid, gemeinhin bekannt als Klimakiller, genießt in Marienbad in Tschechien einen exzellenten Ruf. So leiten in der Kurstadt kilometerlange Rohre das kostbare Gut direkt von der Quelle vulkanischen Ursprungs ins Maria Spa, das therapeutische Herzstück der drei miteinander verbundenen Health Spa Hotels der Ensana-Gruppe. Von Natur aus geruchlos und unsichtbar, wird es hier in einen bläulichen Nebel verwandelt, der uns langsam über den Schoß kriecht, während wir voll angezogen in einem gekachelten Badebecken sitzen und über kleine Schläuche in der Nase eine Extraportion Sauerstoff einatmen. Die schon 1905 entwickelte CO2-Behandlungsmethode verbessert die Durchblutung, senkt den Blutdruck, lindert Schmerzen sowie Gelenksteifheit und regt den Gewebestoffwechsel an, wie die Hotelärzte erklären. Außerdem verlangsame die verbesserte Zellregeneration den Alterungsprozess – ganz im Sinne des Healthy-Aging-Konzeptes, mit dem man vermehrt eine jüngere Zielgruppe ansprechen möchte.
Auch andere Resorts bieten Präventiv-Packages für Berufsgestresste an. Freundinnen checken in Luxushotels für Relax- und Beautybehandlungen ein. Aktivurlauber buchen eine Runde im Royal Golf Club, versuchen sich am Bogenschießen, wandern im Naturschutzgebiet Kladská oder starten zu Radtouren entlang der Eger. Doch auch wenn man versucht, das Angebot möglichst breit aufzustellen: Der weitaus größte Teil der Gäste im 450 Betten-Komplex befindet sich, wie die meisten Urlauber in der Karlsbader Region, im Rentenalter. Sie kommen wegen der unterschiedlichen Kuranwendungen, darunter Mineralbäder, Moorpackungen, Inhalationen oder Gasinjektionen, bei denen das CO2 zur Linderung von OP-Schmerzen und zur schnelleren Heilung in die Unterhaut der Gelenke und Wirbelsäule gespritzt wird. All diese Maßnahmen werden von deutschen Krankenkassen übernommen, versichert Patricie Irlveková von Ensana.
Gasinjektionen stehen bei uns nicht auf dem Programm. Stattdessen stellt sich uns nach dem Trockengasbad die Frage: Wie gefährlich ist dieses Gas tief aus der Erde eigentlich? „Wenn man es einatmet, ist Schluss“, lautet die wenig tröstliche Antwort von Renata Pavlištová, die uns durch das 1828 erbaute Nové-Lázne-Hotel führt. Darum schwebe es ja auch nur bis in Hüfthöhe, sagt sie: „Als man vor 200 Jahren das erste Badehaus an der Marienquelle erbaut hat, stellte man auf die nach unten führenden Stufen Kerzen. Wenn die ausgingen, musste man sofort wieder raus, dann war die erreichte CO2-Konzentration tödlich.“
Die Marienquelle ist ein mächtiger Gassprudel mit einer Reinheit von 99,7 Prozent, der in der Nähe des heutigen Zentralbads austritt und nach wie vor für Anwendungen verwendet wird. Auf ihn geht die Gründung des Kurortes 1818 zurück. Der entdeckungsfreudige Arzt des nahe gelegenen Klosters Tepl, Jan Josef Nehr, erforschte Ende des 18. Jahrhunderts die heilende Wirkung des Kohlendioxids sowie des Mineralwassers aus der nahe gelegenen Quelle Nová Marie.
Nehr konnte seinen Abt überzeugen, das besagte Badehaus über der Marienquelle zu errichten, deren Schwefelgeruch ihr den Namen „Stinker“ eingebracht hatte.
Auch die medizinische Wirksamkeit der 40 weiteren, eisenhaltigen, hypotonischen Mineralquellen im Stadtgebiet sollte nicht ungenutzt bleiben. So hat man dem eifrigen Dr. Nehr nicht nur die Erstbesiedelung des unwegsamen Moor- und Waldgebietes zu verdanken, sondern auch die Errichtung der ersten Kurhäuser für heilbedürftige Gäste.
Welchen Weitblick der Klosterarzt damals bewies, wird uns 200 Jahre später auf einem Spaziergang klar, der durch die blühenden Parkanlagen Mariánské Laznes mit 195 Baumarten führt. Marienbad, Karlsbad und Franzensbad bilden das Westböhmische Bäderdreieck. Alle drei vom Kaiserwald umgebenen Orte zählen seit 2021 zu den „Great Spa Towns of Europe“ der Unesco.
Großartig ist es hier ohne Zweifel. Die prächtigen Häuser Marienbads, viele im Stil der Neorenaissance erbaut, zeugen von der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Bedeutung, die der bis 1945 deutsch besiedelte Landstrich an der Grenze zu Bayern und Sachsen über Jahrhunderte besaß.
Besonders im 19. Jahrhundert schlürfte jeder, der etwas auf sich hielt, im „Salon Europas“ das nicht immer schmackhafte Thermal- und Mineralwasser, das entzündungshemmend wirkt, Atemwegs- oder Verdauungsbeschwerden lindert, urologische oder Nierenerkrankungen heilen hilft. So flanierten Wolfgang Goethe, Mark Twain, Franz Kafka, Rudyard Kipling, Sigmund Freud, Richard Wagner, Frédéric Chopin und Richard Strauss oder Thomas Alva Edison durch die Wandelhallen. Während Peter der Große, Fürst Metternich und Edward VII. die Wirkung der Trinkkuren und Moorbäder erprobten. Die private Badekabine des britischen Königs, die noch heute im Nové Lázne zu besichtigen ist, hat der übergewichtige Monarch oft und gerne genutzt.
Ganz im Gegensatz zum österreichischen Kaiser und tschechischen König Franz Joseph I., der das ihm zu Ehren 1895 in Karlsbad errichtete Kaiserbad nur ein einziges Mal beehrt hat. Das Moorbad, das zu Hochzeiten 2000 Menschen am Tag genossen, verschmähte Franz Joseph. Dank eines damals einzigartigen hydraulischen Systems ließen sich die mit Badetorf befüllten Wannen direkt in die mehr als hundert Badezimmer transportieren. Ebenso fortschrittlich der imposante Zander-Saal mit Böhmens erstem Fitnessstudio.
Der Hauch der Geschichte liegt über der ganzen, vom deutschen Kaiser Karl IV. im 14. Jahrhundert gegründeten Stadt. Hatte sie ihre Belle Époque um die Jahrhundertwende erlebt, ist sie noch heute das größte Heilbad der Tschechischen Republik. Prunkvolle Kurhäuser und fünf prächtige Kolonnaden, die sich an der Renaissance, der Antike und sogar am Brutalismus eines Le Corbusier orientieren, laden zum Spaziergang ein.
Mit einem Karlsbader Trinkbecher ausgestattet kosten wir das aus 2000 Metern Tiefe an die Oberfläche brodelnde Heilwasser an einem der Brunnen. Doch Obacht: Die 14 Karlsbader Quellen sind im Gegensatz zu den Marienbader Säuerlingen heiß, sehr heiß. Die wärmste ist der Geysir Sprudel, der in der Stahlbeton-Kolonnade gleichen Namens mit 73 Grad zwölf Meter in die Höhe schießt.
Während das Thermalwasser gegen Kreislaufprobleme, Parodontose und sogar überspannte Nerven helfen soll, an dieser Stelle noch ein Tipp: Das stark salzhaltige Wasser bitte nur in kleinen Mengen trinken! Andernfalls könnte seine abführende Wirkung aus dem Motto der Trinkkuren „ein Schluck, ein Schritt“ schnell den Spruch „ein Schluck, ganz viel Rennerei“ machen. Susanne Böllert