„Noch ein paar Meter“, sagt Mark Mast, „und dann hört ihr mir eh nicht mehr zu.“ Er geht noch einige Schritte nach vorn, eine Felskante ist da, besser nicht stolpern jetzt. Und er behält Recht: Ein Blick tut sich plötzlich auf weit über ein riesiges Amphitheater inmitten von riesigen roten Felsen. Unten eine große Bühne, oben leuchtend blauer Himmel, in der Ferne die Skyline von Denver. Mast sagt erst mal nichts mehr. Hört ja eh keiner mehr zu in diesem packenden Moment.
Was für ein Anblick! Was für ein Geschenk der Natur! Im Red Rocks Park in Colorado, tief im Westen der USA, hat die Felsformation ein halbrundes Megatheater geschaffen, der Mensch ergänzte vor 90 Jahren Stufen, es reicht für 9000 Sitzplätze. Vorne unten die Bühne, inzwischen überdacht, im Halbrund eine faszinierende Akustik, das Ganze auf 2000 Meter Höhe in den Ausläufern der gewaltigen Rocky Mountains. Mast lässt das noch ein bisschen wirken. „Das ist eine der Top 5 der Open-Air-Locations“, merkt er an, „weltweit.“
Er muss es wissen. Mast, 62, ist Intendant und Chefdirigent der Bayerischen Philharmonie. Und Colorado-Fan und -Kenner, seit Jahrzehnten. Wir sind mit ihm zu den Red Rocks gefahren, um ein bisschen was zu schnuppern von der Begeisterung. Einen „Mega-Blick“ hat er versprochen und einen magischen Platz. Langsam stapft er die Stufen hinab. „Dieser Ort atmet Naturkraft. Wilder Westen im besten Sinne.“
Es ist eine verrückte Kombination aus gewaltiger Natur, Sonnenuntergängen und der Denver-Skyline, die am Abend dann zu funkeln beginnt. Weltstars kletterten hier allabendlich auf die Bühne zwischen den zwei rund 100 Meter hohen Sandsteinfelsen. Die Beatles 1964. Grateful Dead, Bruce Springsteen, Eric Clapton, Depeche Mode mit Zugaben im Mondlicht, U2 mit einem phänomenalen Konzert im strömenden Regen 1983, die Eagles, sogar Coldplay. Und John Denver von 1972 bis 1989 immer wieder, auf dem Gelände wurde dem legendären Country- und Folk-Sänger („Take Me Home Country Roads“) eine Statue errichtet. „Das war John Denvers Powerhaus“, erzählt Mast.
Der Dirigent aus München war erstmals 1993 hier. Mit dem Münchner Jugendorchester tourte er durch Colorado, ein privater Ausflug führte ihn zu den Red Rocks. Er erinnert sich noch an jede Minute und kam oft wieder zu den roten Felsen. Er schwärmt. „Ich hab 2019 hier Peter Frampton gehört, Wahnsinn!“ Nur eines ist noch ein unerfüllter Wunsch, ein großes Ziel: Mast will einmal selbst auf dieser Bühne stehen.
Der Wunsch war schon kurz vor der Erfüllung, und platzte doch. 2020 wollte das Colorado Symphony, das große Orchester der Stadt, Beethovens Neunte zwischen den Felsen spielen. Weil es enge Verbindungen gibt zwischen München und Denver – die Städte haben ein Abkommen, die Musiker tauschen sich aus, sogar die Flughäfen sind enge Partner –, wurde Mark Mast als Gastdirigent eingeladen. Die Corona-Regeln durchkreuzten den Plan jäh.
Chance verpasst für immer? Nein, Mast murmelt auf dem Weg über die Stufen, dass es neue Pläne geben soll. Einen neuen Anlauf. Im Sommer 2026, spätestens 2027, wollen das Colorado Symphony und der Chor der Bayerischen Philharmonie gemeinsam auf dieser Bühne stehen, eine dreistellige Zahl von Musikern. Beethovens Neunte. Dirigiert von: Mark Mast. Er arbeitet schon dran, wirbt, überzeugt, will eine ganze USA-Tour für 50, 60, 70 Münchner Musiker draus machen. Aber eben vor allem auf der Bühne im Red Rocks Park stehen, wenn der Sonnenuntergang die Felsen tiefrot färbt. „Für mich ist das ein Lebenstraum, einmal hier zu spielen.“ Christian Deutschländer