Zeit für Gustav

von Redaktion

Ein Anker in schweren Zeiten

Gustav war 79 Jahre alt, als er in einem Pflegeheim seine letzten Lebensmonate verbrachte. Seine Familie hatte den Kontakt verloren, alte Freunde wussten nicht, wo er war. Und doch war er nicht allein. Zwei ehrenamtlich Engagierte besuchten ihn regelmäßig – einer von ihnen wurde für Gustav zu „Helmut“. Gleich bei ihrem ersten Treffen hielt Gustav ihn für seinen alten Spezi Helmut – ein Irrtum, dem der Begleiter nicht widersprach. Denn Gustav freute sich so sehr über das vermeintliche Wiedersehen, dass es keinen Raum für Korrekturen gab. Und so blieb der Hospizbegleiter für den Rest von Gustavs Leben eben „der Helmut“.

In ihren Gesprächen erinnerte sich Gustav gerne an alte Zeiten im Ort, an die Eisenhandlung, den Metzger, den Hufschmied. Auch wenn er sich manchmal in der Zeit verlor, war da stets diese tiefe Dankbarkeit in ihm – für das Pflegepersonal, für den jungen Achmed, der ihm im Hof eine Zigarette anzündete, und für alle, die ihm mit Respekt begegneten.

Berührend war auch sein fester Glaube daran, dass seine Mutter ihn noch besuche – eine Erinnerung, die ihn tröstete, obwohl sie längst verstorben war. Seine Demenz schützte ihn vor der vollen Härte der Einsamkeit, doch was ihn wirklich hielt, war die verlässliche Nähe seiner Hospizbegleiter.

In der letzten Woche verschlechterte sich Gustavs Zustand rasch. Bei einem seiner letzten Besuche blickte er zum Himmel und sagte ohne Angst: „Bald bin ich vielleicht da oben.“ Kurz darauf starb er – friedlich, in Würde und geborgen. Bei der schlichten Beisetzung standen nur sechs Menschen um die Urne – darunter der Hospizbegleiter, der ihm bis zuletzt zur Seite gestanden hatte, da war, wo sonst niemand mehr war, Wärme geben konnte, wo es kalt geworden war – bis zuletzt.

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