„Ob Bernsteine wertvoll sind? So wie Gold?“ Das will meine siebenjährige Tochter – ganz Nachwuchs-Piratin – wissen. „Nein“, Frants schüttelt lachend den Kopf. „Außer man findet richtig große Brocken.“ Er hat einen dabei. Wir staunen, wie wenig dieser Fels da in der flachen Hand wiegt. Und haben Lektion Nummer 1 gelernt. Bernstein ist superleicht. Immerhin ist er nicht wirklich ein Stein, sondern über Millionen Jahre ausgehärteter Harz.
Frants Kristensen ist Experte in Sachen Bernstein. Seinen ersten hat er mit sechs Jahren gefunden. Sein Papa hat ihm erklärt, wie und wo man sie findet, welche besonders wertvoll sind und wie man sie zu Schmuckstücken verarbeitet. Frants winkt uns zum Strand von Saeby, heute sei leider nicht der perfekte Tag für die Bernsteinsuche. Besser sei es im Herbst und Winter. Nach einem großen Sturm oder einer Flut. Bernstein wird nämlich angeschwemmt an die Küste Dänemarks. Daher müsse man auch zwischen Schwemmgut suchen, Bernstein verstecke sich gerne unter Algen oder zwischen leichten Holzstöckchen.
Frants bückt sich und hebt strahlend seinen ersten hoch. „Und da! Schon wieder einer!“ Während wir buddeln, wühlen, Sand und Strandgut hin- und herschieben, geht er leicht gebeugt und hochkonzentriert die Küste entlang, pickt einen nach dem anderen auf.
Doch so routiniert das ausschaut, trotzdem ist das Finderglück des 72-Jährigen riesig. „Bis heute kribbelt es in meinem Bauch, wenn ich einen Bernstein finde“, gesteht er grinsend. Frants kann sich freuen wie ein Kind. Das steckt an. Darum fahren wir auch nachmittags spontan in seine Werkstatt. Und da sitzt er vor einem Schleifstein, inmitten voller Kisten mit wertvollem Strandgut und formt aus einem eckigen Etwas ein wunderschön schimmerndes Herz. Meine Kleine ist begeistert. Vorher noch zappelig, steht sie nun flüsternd und staunend neben dem älteren Herrn und hält den Atem an: Wie wird das Ergebnis aussehen und bekommt sie es wirklich geschenkt? Als Frants ihr das Bernsteinherz um den Hals hängt, kann sie ihr Glück nicht fassen.
Glücksgefühle gibt es ohne Ende in Dänemark. Seit Jahren zählt Dänemark zu den Top 3 der glücklichsten Länder der Welt. Was die Menschen hier so glücklich und zufrieden macht? Vielleicht ist es der viele Platz, den sie haben. Gerade mal sechs Millionen Menschen leben in Dänemark. Zu wenige, um sich gegenseitig auf die Nerven zu gehen. Und trotzdem genug, um sich immer gesellig zusammenzufinden und anzustoßen auf das Leben und die Freundschaft. Das tun die Dänen gerne. Als wir durchs Land cruisen, sehen wir unzählige Familientreffen unterm freien Himmel. Die Dänenflagge lustig flatternd am Tor sitzen Jung und Alt in ihren Gärten, eingemummelt in dicke Wolldecken an üppig gedeckten Tischen und schlemmen, lachen und trinken. Ein geselliges und feierfreudiges Volk.
Überhaupt sieht man viel, auf einem Roadtrip durch Dänemark. Weil man cruist, da maximal 60 Stundenkilometer erlaubt sind. Was mich anfangs irritiert und dann entspannt. Wir schnurren an riesigen Wiesen vorbei und durch herrlich glitzernde Wälder. Gefühlt alle paar Kilometer kreischt meine Tochter begeistert aus dem Fenster deutend: „Mama, Pferde!“ Ein Reiterhof reiht sich an den nächsten. Mit den allerschönsten Rössern und Fohlen, die ich lange gesehen habe. Und ich lese später nach, dass Dänemark das Land der Pferdezucht ist.
Rassen wie der Frederiksborger und der Jütländer, edle Sportpferde, kommen von hier.
Am Abend laufen wir am Strand entlang. In der Ferne winken ein paar Einheimische. Dazwischen ganz viel weicher Sand und endlos viel Raum zum Toben und Rennen. Für Kind und Hund. Doch dann legt meine Tochter eine Vollbremsung hin. Ein Seestern liegt vor ihr auf dem Trockenen. Nicht ausgedörrt, sondern noch rosa, weich. Ein paar Meter weiter der nächste. „Mama, die armen Seesterne!“, ruft sie. Und es steht fest: Wir starten eine Rettungsaktion. Schnell werden große Muschelschalen geholt, mit denen wir vorsichtig die gestrandeten Seesterne anheben und dann sacht, aber mit schnellem Schwung ins Meer zurückwerfen. Und die Geretteten reagieren ad hoc, paddeln dankend los und drehen ab in Richtung Baltisches Meer.
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Seesterne retten wird unsere wunderschöne Abendroutine. Überhaupt ist der Lyngsa-Strand unser neuer Lieblingsort. Wir hatten uns durch Zufall dort eingebucht, in einem hyggeligen Sommerhaus, drei Minuten Fußmarsch vom Meer entfernt.
Zwei Schlafzimmerchen, so kuschelig eingerichtet, dass wir uns direkt zu Hause fühlen. Natürlich mit offenem Kamin, den wir aber gar nicht brauchen, weil das Wetter nicht dem stürmisch-nasskalten Klischee eines Skandinavien-Urlaubs entspricht, sondern uns mit ganz viel Sonne und Licht erfreut. Was uns eine Extraportion Energie schenkt. So hört meine Tochter auch kein genervtes „Lass mich noch schlafen!“, als sie mit den ersten Sonnenstrahlen um vier Uhr früh aus dem Bett springt, sondern ich schleiche ihr vorsichtig hinterher. Immerhin haben wir die Erfahrung gemacht, dass frühmorgens gerne Rehe durch unseren Garten spazieren, begleitet von ein paar Haken schlagenden Feldhasen.
Wir jubeln lautlos, als wir die plüschigen Besucher erspähen. Glücksgefühle! Die hab ich ganz spontan auch, als der Chefkoch des Gourmetlokals Möllehuset in Frederikshavn mit einem großen Topf an meinen Tisch kommt und mir einen Extra-Schöpfer Pilzrahmsoße auf mein Essen gibt. „Die Kartoffeln müssen doch schwimmen“, sagt er grinsend.
Ein sehr fröhliches und unkompliziertes Volk. Das dachte ich mir schon beim Telefonat mit unserem Ferienhausvermieter, als ich die Schlüsselbox nicht fand. Da meinte der nur tiefenentspannt, falls der Code nicht funktioniere, sollten wir einfach ein Fenster mit einem Stein einschlagen, ein kleines halt. Er komme dann nachmittags mit ner neuen Scheibe vorbei.
Wie ein so durch und durch entschleunigender Urlaub auf Kinder wirkt? Mega! Plötzlich wurden Stuhl-Züge in unserer Küche aufgebaut, um durch Dänemark zu zuckeln. Auf der Terrasse durften die mitgebrachten Schleich-Pferde über einen selbst geschichteten Stöckchen-Pferdeparcours springen. Aus den am Strand gesammelten Muscheln wurden Einhornbilder geklebt. Und leere Teekartons dienten plötzlich als Mini-Briefkästen, aus denen ich jeden Morgen einen Liebesbrief fischen durfte. Das zu Hause oft gehörte „Mama, mir ist langweilig“ hab ich in Dänemark nie gehört. Wieso waren wir nicht schon früher hier?
Das frag ich mich auch jetzt. Als ich im Internet nachlese, was man als Deutscher vorweisen muss, um eines dieser schnuckeligen Sommerhäuschen erwerben zu dürfen. Die vielen „Zu kaufen“-Schilder am Wegesrand hatten mich neugierig gemacht, die Preise begeistert. Für immer so entschleunigt sein? So viel Weite, Freiheit? Doch dann ein langes Gesicht: Voraussetzung für den Erwerb sei der Nachweis einer engen Verbindung zu Dänemark. Entweder müsse man 20 Jahren jedes Jahr regelmäßig dort Urlaub machen oder die Sprache fließend sprechen… Okay, 20 Jahre will ich nicht warten, aber ich meld mich morgen gleich bei der Sprach-App Babbel an. Julitta Ammerschläger