Wie ein Dorf im Trentino Hollywood eroberte

von Redaktion

Vermiglio – ein 2000-Seelen-Ort im Trentino – kannten bis vor Kurzem nur ein paar Wanderer. Doch seit der gleichnamige Film dort gedreht wurde, ist es in aller Munde. Jetzt kommt „Vermiglio“ in die Kinos. Wie hat das Dorf sich durch den Dreh und die Berühmtheit verändert? Hier erzählt Grundschullehrer Alberto Delpero.

Der Kinofilm „Vermiglio“ gewann den Silbernen Löwen in Venedig, wurde bei den Oscars und den Golden Globes nominiert. Wie hat diese Berühmtheit den Ort verändert?

„Vermiglios“ Erfolg überraschte das ganze Land. Ich würde sogar schmunzelnd behaupten: Dieser Film hat das Gleichgewicht des italienischen Filmsystems gestört, dessen Epizentrum ein halbes Jahrhundert zwischen Rom und Neapel lag. Und jetzt liegt die Aufmerksamkeit ganz auf einem der entlegensten Dörfer in den Alpen. Mich freut das riesig. Die Begeisterung hat uns das Bewusstsein für den Wert unserer Kultur und aller kleinen Alpensprachen zurückgebracht.

Wie viele Bewohner aus Vermiglio durften beim Film direkt mitmachen?

Beim Casting wurden etwa vierzig Menschen aus dem Dorf ausgewählt. Vor allem Kinder, aber auch ältere Menschen standen vor der Kamera. Ganz normale Typen, die nicht ins Fitnessstudio gehen oder joggen.

Gab es eine Art Konkurrenz, wer welche Rolle ergattern darf?

Es gab keinen Wettbewerb unter den Einwohnern bei der Rollenvergabe. Wahrscheinlich auch, weil niemand sich den Erfolg vorstellte, den dieser Film später haben würde.

Wurde ein neuer Star geboren?

Die Kinderprotagonisten sind zweifellos die neuen Stars des Landes. Wer weiß, vielleicht absolvieren sie dank dieses Drehs wirklich mal eine ernsthafte Ausbildung in Schauspielkunst.

Und natürlich muss man Martina Scrinzi als einen Star bezeichnen. Sie stammt zwar nicht direkt aus unserem Dorf, aber aus der Provinz Rovereto. Mit „Vermiglio“ feierte sie ihren Durchbruch, wurde in Venedig mit dem Nuovo Imaie Talent Award geehrt.

Wie haben Sie die Regisseurin Maura Delpero vor Ort erlebt?

Maura ist ein sehr einfühlsamer Mensch. Sie knüpfte zu allen, mit denen sie in Kontakt kam, sofort freundschaftliche Beziehungen. Dadurch kam sie sogar mit älteren Leuten ins Gespräch, die eher zurückgezogen leben, sich aber noch an die Kriegsjahre erinnern. Dank dieser Gespräche und der verfügbaren historischen Dokumentation des Landes rekonstruierte Maura Umgebungen und Situationen akribisch.

Musste Ihr Vermiglio für den Film verändert werden?

Überhaupt nicht. Maura verwendete Gebäude und Landschaften, die heute noch so aussehen wie 1944. Nur für ganz wenige Details, die nicht mit dem historischen Kontext vereinbar waren, war eine digitale Retusche erforderlich.

Auch Sie haben eine Rolle im Film? Wie war das?

Im Film spiele ich mich selbst: den Akkordeonspieler in einer Taverne. Etwas, was ich im wirklichen Leben schon seit meiner Kindheit mache.

Sie sind im echten Leben Chorleiter und Grundschullehrer in Vermiglio.

Seit meinem 17. Lebensjahr leite ich den Bergchor. Außerdem singe ich bei der Gesangsgruppe „I cantori da Verméi“ mit. Wir sind ein Dutzend Männer im Alter von 25 bis 70 Jahren, die die traditionellen Alpenlieder wiederentdeckt haben, die von den Ältesten des Dorfes mündlich überliefert wurden. Den Männerchor sieht man auch im Film.

Erzählen Sie uns von Ihrer Arbeit als Grundschullehrer.

In der Gemeinde Vermiglio gibt es zwei Grundschulen. Ich unterrichte in Passo Tonale, einem Weiler auf 1884 Metern, in genau der Schule, die auch im Film zu sehen ist. 22 Schüler werden dort in jahrgangsübergreifenden Klassen unterrichtet. Übrigens durften meine Schüler neben Komparsenrollen auch als Synchronsprecher im Film mitwirken, Teile einer Messe vortragen.

Die Darsteller im Film sprechen den Vermiglio-Dialekt. Sie haben die Übersetzung betreut.

Meine Aufgabe bestand darin, Mauras italienisches Drehbuch in den Vermiglio-Dialekt zu übersetzen. Longhi Felice hat mir dabei geholfen, ein anderer Vermiglioner, der sich mit lokaler Geschichte und Kultur beschäftigt.

Wie war das? Gab es oft Missverständnisse?

Der Vergleich der beiden Sprachen hat Spaß gemacht und uns die Möglichkeit gegeben, unsere syntaktischen und grammatikalischen Strukturen zu betrachten. Wir verwenden den Dialekt nämlich instinktiv, haben ihn sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen. Er ist die Sprache unserer familiären Zuneigung, der alltäglichen Kommunikation zwischen Dorfbewohnern, bei Streitigkeiten und in der Liebe… Er muss nicht in der Schule unterrichtet werden, aber es ist wichtig, ihn im Rahmen von pädagogischen Aktivitäten, in Gedichten, Geschichten und Theaterstücken anzubieten. Der Dialekt ist ein unersetzlicher Teil unserer Heimat. Wir dürfen ihn nicht konservieren, müssen ihn leben. Der berühmte Schriftsteller Vladimir Nabokov schrieb einmal: „Die Heimat ist die Sprache, in der man träumt.“

Sie lieben Vermiglio.

Ich lebe seit meiner Geburt, also seit 1969, in Vermiglio. Für mich ist dieser kleine Ort der einzig mögliche Lebensraum, ich möchte nirgendwo anders leben und vor allem möchte ich nirgendwo anders sterben. Leider sind dies Dinge, insbesondere der zweite Punkt, die nicht immer von uns abhängen…

Wie viele junge Menschen fühlen so wie Sie? Haben sie Perspektiven?

Die jungen Menschen, die sich für eine Tätigkeit im Tourismus, im Handwerk oder im tertiären Sektor entscheiden, bleiben im Tal. Andere, die ein Fachstudium anstreben, müssen in die Städte ziehen.

Von was leben die Menschen in Ihrem Ort?

Die Einwohner von Vermiglio leben vom Tourismus, Handwerk, dem tertiären Sektor und Landwirtschaft. Gleichzeitig verbindet uns ein großer Zusammenhalt.

Was zeichnet Ihre Dorfgemeinschaft aus?

Vermiglio ist stolz auf seine alpine Umgebung. Uns verbindet ein tief verwurzeltes Bewusstsein dafür, dass unsere Ressourcen wie Wälder, Wasser und Landschaft erhalten und verbessert werden müssen. Und wir wissen, dass es nicht nur einen Weg, sondern mehrere Wege gibt, die auf den Gipfel des Berges führen. Daher führen wir auch gesunde Debatten mit der Landesverwaltung darüber, was für uns notwendig ist und wie es mit Vermiglio weitergeht.

Verraten Sie uns bitte noch Ihre Lieblingsecken?

Die Stadt liegt eingebettet in der Presanella-Bergkette, einem Juwel aus Granit, der höchste Gipfel des Trentino und eine der unberührtesten und eindrucksvollsten Landschaften der Alpen.

Eine Wanderung zum Gipfel ist ein Muss – und eine Pause in der Denza-Hütte: Sie bietet ausgezeichnete lokale Küche, kluge Ratschläge für Bergsteiger und eine ziemlich nette Gesellschaft.

Für Trekking-Fans oder Mountainbiker haben wir Höhenrouten, auf denen man in Biwaks oder Berghütten übernachten kann.

Doch auch der Ort selbst ist wunderschön. Besucher sollten unbedingt durch die Gassen schlendern, danach einen Aperitiv in einer der Bars in der Altstadt schlürfen und am Leben hier teilnehmen.

Sehenswert ist auch die Festung Forte Strino, seit 1998 ein Museum, das die Geschichte des Ersten Weltkriegs in unserer Region erzählt.

Interview: Julitta Ammerschläger

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