Neuburg stand nie oben auf der Liste der Städte, die ich unbedingt mal besuchen wollte. Und dann fahre ich dorthin und bin so froh, diesen Abstecher in den Norden Oberbayerns gemacht zu haben. Denn hier gibt es viel Überraschendes.
Fangen wir beim Residenzschloss an. Das ließ der Enkel von Herzog Georg dem Reichen, den wir von der Landshuter Fürstenhochzeit aus dem Jahr 1475 kennen, als er die polnische Königstochter Jadwiga heiratete, in Neuburg erbauen. Ottheinrich hieß der für die damalige Zeit extrem moderne und kunstliebende Pfalzgraf, der Neuburg mit allem, was schick und teuer war bestückte. Angefangen von einzigartigen Sgraffito-Gemälden. Einer Kratzputztechnik, bei der farbige Putzschichten übereinander aufgetragen werden, um dann ein Gemälde hineinzuritzen. Etwa das der Geschichte von Jakob und seinen Brüdern. Welcher auf dem Sklavenmarkt verkauft wurde und in Ägypten landete, bei dem ägyptischen Beamten Potiphar, einem Eunuchen, dessen liebestolle Frau versuchte, Jakob zu verführen. Wilde Sexszenen mitten im damals eher prüden Bayern. Spannend.
Von wegen prüde. Ottheinrich sei zeitlebens schwer verliebt gewesen in seine Gemahlin Prinzessin Susanna von Bayern. Woher man das weiß? Weil überall im Schloss kleine Liebes- und Sexbotschaften versteckt sind. Etwa ein Schlüsselloch am Weinkeller, das man als Herz oder kopfüber auch als Vulva interpretieren kann. Oder von der lauschigen Eisgrotte, in der nicht nur 4000 funkelnde Glas-Stalaktiten von der Decke hängen, sondern auch der Weißdorn rankt, damals als Fruchtbarkeitspflanze verehrt. Hier soll der ungewöhliche Herrscher in lauen Sommernächten gerne kühle Zuflucht mit seiner Liebsten gesucht und danach wild geschlemmt haben. Stadtführerin Sabine drückt eine Geheimtür auf, die hinauf zur Küche führt. Ottheinrich war ein Genussmensch durch und durch, was man an dem überdimensionalen Nachthemd sieht, das in einer Vitrine im Obergeschoss hängt. Es gleicht einem Zelt und soll doch ganz eng gesessen haben. Wir grinsen, um gleich wieder zu staunen. Denn wir stehen vor einem riesigen Wandteppich, den Ottheinrich in der Knüpferei De Roy in Brüssel mit Blattgoldfäden von Hand fertigen ließ. Rund 10000 Gulden soll dieser gekostet haben. Drei Nullen darf man zur Umrechnung hintendran hängen, erklärt Sabine. Unfassbar! Vor allem, da er nicht einen, sondern 60 davon knüpfen ließ.
Ob man das noch toppen kann? Ja, etwa wenn man einen Blick in die Schlosskapelle wirft, die mit dem Superlativ aufwartet, die älteste, bemalte evangelische Kirche der Welt zu sein. Oder in die prächtige Bibliothek Neuburgs. Früher Veranstaltungsort barocker Konzertabende bei Kerzenlicht, öffnet sich die Tür heute nur noch nach Anmeldung. Viel zu wertvoll sind die rund 55000 Bücher, die sich hier in den aufwendig geschnitzten zweistöckigen Regalwänden aneinanderreihen. Nur mit Handschuhen darf man darin blättern; verstehen wird man die meisten nur, wenn man Latein oder Altgriechisch in der Schule hatte. Unglaublich, dass hier das Fragment der ältesten bebilderten Bibel der Welt verwahrt wird und dieser Prunkraum per Zille – so nannte man die von Pferden gezogenen Transportschiffe – aus dem ehemaligen Reichskloster Kaisheim hierher transportiert wurde. Unten an der Donau sieht man in den Fels geschürft noch die Abdrücke der Seile, die die schweren Zillen zogen.
Dann ist es Zeit für Genuss. Wir kehren im Romantik-Hotel Zum Klosterbräu (www.zum-klosterbraeu.de) ein – dank Otto Böhm, der bei Heinz Winkler die Geheimnisse der Sterneküche lernte, der ultimative Kulinariktipp. Sogar Schwedens König Carl Gustav saß hier schon. „Da hab ich ganz schön gestaunt, als er mir schrieb, er sei auf Oldtimer-Tour und habe gehört, dass es bei mir den besten Schweinebraten gäbe. Klar hab ich ihm den zubereitet“, schmunzelt der Chef. Sein Haus mit Naturpool und ganz viel Historie ist ein paar Nächte Erholung wert. Und dabei erfährt man von Juniorchef Franziskus, dass man hier an dem Ort weilt, an dem der französische Philosoph René Descartes zu seiner berühmten Erkenntnis „Cogito, ergo sum“ gelang. Neuburg überrascht wirklich nonstop. Julitta Ammerschläger