Im Bann der Bora

von Redaktion

In Lika-Senj trifft man Land und Leute. Im Velebit-Gebirge wandern Aktivurlauber durch schroffe Schluchten. An den Plitvicer Seen kommt man zur Ruhe. Und von Pag aus taucht man in eine sagenhafte Unterwasserwelt ab. Kroatien ist mehr als nur Strandurlaub.

Auf Pag riecht es nach Hochsommer. Ein warmer Wind trägt den Duft von Heckenrosen und Salbei. Wenige Schritte von der ältesten Kirche Novaljas entfernt stimmt eine Statue den Pivanje Nakanat an, einen Chorgesang, der in anderen Landesteilen Klapa heißt und den die UNESCO – genau wie die geklöppelte Pager Spitze – auf die Liste der schützenswerten immateriellen Kulturgüter setzte. Katzen dösen im Schatten der Oleander­büsche.

Auf einem Trail namens „Life on Mars“ klettern Bergsteiger über eine Mondlandschaft. Kajakfahrer paddeln zu einsamen Stränden. Hobbyangler besichtigen einen Turm, auf dem Fischer früher nach Thunfischschwärmen Ausschau hielten – und Archäologiebegeisterte blicken in der Bucht Caska ins Meer: Unter Wasser befinden sich die Ruinen einer Siedlung, die im vierten Jahrhundert ein Erdbeben zerstörte.

Die versunkene Stadt

Warum die Siedlung versank, weiß niemand genau. Der römische Schriftsteller Plinius der Ältere erwähnt Pag in seinem Werk „Naturalis Historia“. Er spricht von einem Ort namens Cissa. Der byzantinische Kaiser Konstantin nennt diesen im 10. Jahrhundert Kissa. Archäologen glauben, dass die Stadt in der Bucht Caska aufgrund des ansteigenden Meeresspiegels unterging, nicht etwa durch Erschütterungen. Eine starke Erosion, verursacht durch die Bora, die für den Abbruch von Felsen in Küstennähe sorgt, erweckte bei den Zeitgenossen vermutlich den Eindruck, ihre Siedlung sei zum Opfer einer Naturkatastrophe geworden.

Die Bevölkerung erfand Legenden, um sich das Rätsel zu erklären. Eine davon handelt von einer gutherzigen Frau, die mit ihren Kindern in Armut lebt, während ihre bösartige Schwester viel besitzt. Weil die böse Schwester die gute ignoriert, bringt Gott die Mutter und ihre Kinder in Sicherheit, bevor er die Siedlung vom Meer verschlingen lässt. Der Volksdichter Ivan Suljic-Ivesa schrieb diese Geschichte auf.

Wilde Olivenbäume

Eine besondere Beziehung zu Pag hat der Agrarwissenschaftler Andrea Kantore. „Ich war als Junge in allen Ferien hier, mein Vater ist Italiener, aber meine Mutter stammt aus dieser Gegend“, sagt er. „Nach der Schule habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, auf Pag zu arbeiten, dieser Blick über die Hügel bis zum Meer hat mich nie losgelassen.“ Wir stehen in einem Olivenhain bei Lun. Er ist wild gewachsen, die Bäume sind bis zu 2000 Jahre alt. Sie gehören verschiedenen Familien. Die Eigentümer teilen sich eine Presse, verwenden ihr Öl in ihrer Küche oder verkaufen es an Stammkunden.

Andrea zeigt uns ein Foto mit Olivenbäumen, die aussehen, als seien sie mitten im Frühling von einer Schneeschicht bedeckt. „Das ist Salz“, sagt er, „das Foto hat jemand kurz nach einem Bora-Sturm gemacht.“ Die Bora weht das Meersalz aufs Land, dort regnet es ab. „Wenn die Bora kommt, können Kinder nicht zur Schule gehen“, erzählt Andrea, „der Sturm ist so heftig, dass keine Busse fahren, niemand geht aus dem Haus.“

Die Bora bewirkt aber auch Positives: Schafe fressen Heilkräuter, die nur hier auf dem salzigen Steingrund wachsen. Der Pager Schafskäse ist aromatisch, gewann Preise.

Wie im Garten Eden

Bei Slunj, wo sich die Flüsse Slunjcica und Korana begegnen, ist die Landschaft so lieblich wie im Garten Eden. Wasser fließt in filigranen Kaskaden über moosbewachsene Steine. Mühlen sind umgeben von Kirschbäumen und Ginsterbüschen. Auf dem Weg nach Krasno wird die Umgebung karg. Zarter Klatschmohn blüht auf Wiesen, daneben liegt alle 20 Meter hellgrauer Karst. Felsen ragen so zufällig aus dem Gras, als hätte sie ein Riese bei einem Spaziergang fallen lassen.

Nordöstlich von Starigrad-Paklenica liegt die Gebirgskette Velebit mit dem Bergmassiv Tulove Grede. Es ist Schauplatz mehrerer Winnetou-Filme. Wer auf den Spuren der Apatschen wandern will, braucht Trekkingschuhe und darf die Temperaturen nicht unterschätzen.

Naturwunder Plitvice

Abkühlung bietet die Gischt des Veliki Slap, so heißt der größte Wasserfall im Nationalpark Plitvicer Seen. 78 Meter strömen Wassermassen über eine Steilwand in die Tiefe. Ebenso beeindruckend ist der 16 Meter hohe Galovacki Buk. Fast 20 Bäche fließen in ein smaragdgrünes Bassin. Millionen Wassertropfen schweben in der Luft und spiegeln das Sonnenlicht in fluoreszierenden Farben. Die Seenlandschaft wurde 1979 Weltnaturerbe.

Die Farben des glasklaren Süßwassers reichen von Flaschengrün über Azurblau bis zu strahlendem Türkis, dank einer Algenart, die hier blüht. Wie Opale liegen alle 16 Seen in Ringen aus Sinter. Forscher schätzen das Alter dieses porösen Gesteins auf 6000 bis 7000 Jahre. Baden ist hier verboten. Doch allein der Anblick reinigt die Seele. Die Atmosphäre ist mystisch. Niemanden würde es wundern, wenn statt der Libellen Elfen über die Wasseroberfläche schweben würden. Mit nach Hause nimmt man eine innere Ruhe – und eine kosmische Energie, die nicht von dieser Welt ist. Isa Hoffinger

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