Ingenieurin Anne Doull hat jede Menge zu tun. Zusammen mit ihren Eltern Margaret und Addie ist sie Herrin über 650 Schafe im Nordwesten von „Mainland“, der Hauptinsel. Jetzt wurde der Familie eine große Ehre zuteil: Die Doulls wurden „Patrone“ der Shetland Wool Week. Das weit über die Inselgrenze hinaus bekannte Handarbeits-Event findet 2025 zum 16. Mal statt. Und zwar von 28. September bis 4. Oktober.
Erwartet werden Strickerinnen und ein paar Stricker aus aller Welt. Was sie dort wollen an der vom Meer umtosten und nur mühsam erreichbaren Nordspitze Großbritanniens – und das auch noch im Herbst? Techniken und Muster lernen, sich mit Gleichgesinnten austauschen. Und natürlich die Shetland-Inseln sehen. Der Job der Patrone: Sie entwerfen das Muster für die offizielle Mütze zum Event. Natürlich muss sie niemand tragen oder nachstricken. Aber die meisten tun es. Anne hat eine Mütze mit Fair-Isle-Muster und Schafköpfen entworfen, die sie gleich in mehreren Farbkombinationen vorgestrickt hat.
Fair Isle – so heißt auch die südlichste der bewohnten Shetlands, wo die spezielle Stricktechnik von Fischersfrauen vor Jahrhunderten erfunden wurde. Wer sich an Fair-Isle-Muster traut, hat nicht zum ersten Mal Stricknadeln in der Hand. Teils wechseln die Farben bei jeder Masche, um auf der Außenseite das Muster zu ergeben. Auf der Innenseite werden die Fäden weitergezogen, sodass eine Mütze mit mehreren Schichten Wolle entsteht. Warm und isolierend, genau richtig für das Wetter im Norden Schottlands.
Dicke Pullis aus
feiner Wolle
Addie, Annes Vater, liebt seine Fair-Isle-Pullover, „nichts ist wärmer und langlebiger“, sagt er, draußen auf dem Feld, im Stall oder daheim. Was natürlich auch an der Qualität der Wolle liegt, die die Schafe hier liefern. Das zeigt er an einem Schaffell: Wie fasst sich die Wolle an? Wie ist die Qualität der Fasern? Ist die Struktur gleichmäßig? Das alles wird auch bei den Wettbewerben geprüft, zu denen die Schafzüchter von der Insel ihre Felle bringen.
Die Doulls werden regelmäßig ausgezeichnet. Elf verschiedene Schafrassen leben auf den Inseln, aus den Fellfarben lassen sich mehr als 30 verschiedene Nuancen herstellen. „Inzwischen bieten die Produzenten auch Farbtöne an, die an die Farben auf der Insel erinnern: der Sonnenuntergang zum Beispiel Dunkelblau, Pink, Orange und Gelb“, sagt Anne.
Zu denen, die ihre Wolle selbst färbt und verkauft, gehört Becky Pritchard. Sie hat ihre Silly Sheep Fibre Company ganz im Westen der Hauptinsel, in Walls. Auf ihren Feldern leben rund 50 Schafe. Becky nutzt entweder gleich die natürlichen Fellfarben für ihre Wolle oder sie färbt kleine Mengen in reiner Handarbeit.
Mit Handarbeiten durch die langen Winter
100 Inseln sind die Shetlands insgesamt, 16 davon bewohnt – gelegen zwischen den Orkneys, Färöer und Norwegen. Grüne Hügel, schroffe Felsen, kleine Seen, Strände mit türkisfarbenem Wasser. Kurvige Straßen, fast überall einspurig. Und mit etwas Glück gibt es schon Anfang Oktober Nordlichter zu sehen.
Im Winter dagegen kann man sich vorstellen, wie sie durchstricken, wenn es draußen stürmisch, nass und dunkel ist. Wie sie Wolle spinnen und die Älteren den Jüngeren die Fair-Isle-Muster beibringen. Oder das Spitzestricken. Für beides waren die Frauen aus Shetland berühmt, wie Besucher im Shetland Museum and Archives in Lerwick erfahren. Queen Victoria besaß eine Stola, Französische Modemagazine berichteten über die Spitze, die da auf einem abgelegenen Archipel von Hand hergestellt wurde. Vor allem die Frauen aus Unst, dem nördlichen „Ende“ Großbritanniens, waren es, die die Spitzen aus feinster Wolle strickten. Eine Wissenschaft, selbst für Geübte. Während der Wool Week gibt es organisierte Ausflüge nach Unst, dazu zahlreiche andere Touren zu Schäferinnen, Spinnern, Wollproduzenten und Designerinnen. Und jede Menge Workshops: Spinnen, Stricken, Weben und Filzen. Verena Wolff/dpa