„Südafrika – meine schöne, schwierige Heimat“

von Redaktion

Die Schweizer Afrika-Korrespondentin Cristina Karrer schreibt über ihr Leben in Johannesburg

Heimat ist, wo Freunde sind: Cristina (M.) lädt gerne ein (gr. F.). Oben: Cristina im Flüchtlingslager von Adre.

„Wenn ich die drei Hügel vor meinem Ferienhäuschen am Hartbeespoort-Damm sehe, bin ich glücklich. Innerhalb von Sekunden. Egal, ob sie nebelverhangen sind oder im letzten Licht der untergehenden Sonne leuchten. Dieser Damm liegt rund 60 Kilometer westlich von Johannesburg, er gehört zu meinen Lieblingsecken in Südafrika. In der Natur, auf dem Kajak oder unterwegs mit meinen beiden Hunden, das ist für mich Heimat. Natürlich inklusive meines indischstämmigen Partners, seiner beiden erwachsenen Töchtern, seinem Clan, meinen Freundinnen und den Webervögeln, die jedes Jahr in meinem Garten mit ihrem Nestbau den Frühling einleiten.

Meine ursprüngliche Heimat ist die Schweiz, dort habe ich bis heute nahe Freundinnen und Freunde. Doch in den letzten 25 Jahren ist in Südafrika eine neue Heimat entstanden. Nicht so organisiert und sicher wie die Schweiz. Chaotischer, gefährlicher, fast alle haben eine Geschichte eines Überfalls zu erzählen. Auch wir sind überfallen worden, ich hatte drei Stunden eine Pistole am Kopf, unser ganzes Haus wurde ausgeraubt. Doch das war kein Grund, in die Schweiz zurückzuziehen. Um uns besser schützen zu können, sind wir in eine andere Gegend von Johannesburg umgezogen, in ein Quartier von Pferdeliebhabern mit riesigen Grundstücken. Das war nie mein Traum. Doch ich bin dankbar für den Garten und dafür, dass ich spazieren gehen kann, ohne immer über meine Schulter gucken zu müssen.

Die Weite des
Himmels

Ich weiß, wie privilegiert ich bin, und ich teile mein Privileg immer wieder mit anderen. Wie mit meiner schwarzen Produzentin Antoinette, einer alleinerziehenden Mutter, die sich mit ihren beiden Buben, ihrer Schwester und deren Tochter ein Häuschen teilt. Ich lade sie regelmässig ein, denn wie heisst es so schön: geteilte Freude ist doppelte Freude.

Viele meiner südafrikanischen Freundinnen besitzen weniger als ich, dafür können sie nichts, wie ich ebenso wenig dafür kann, dass ich in der Schweiz geboren bin und Schweizer Franken verdiene. Darum unterstütze ich sie oder ihre Kinder, so gut ich kann.

Heimat ist, wo Familie und Freunde leben, zumindest für mich. Südafrika ist eine ebenso unglaublich schöne wie auch schwierige Heimat. Schön, weil die Natur schlichtweg großartig ist, sei es am indischen Ozean, am Atlantik bei Kapstadt, in der Halbwüste Karoo mit ihren knarrenden Windrädern oder im Norden, wo die riesigen Baobab Bäume wachsen. Die Weite des Himmels raubt mir immer wieder den Atem, lässt mich Schwierigkeiten vergessen.

Es ist kompliziert in Südafrika. Man muss auf vieles warten, auf tausend Dollar für eine Reise nach Simbabwe unter Umständen drei Tage. Doch es warten hier alle. Auf fließendes Wasser, auf Elektrizität, auf die Pension, die wieder mal nicht ausbezahlt worden ist. Das Warten jener, die nicht viel haben, lässt sich mit meinem Warten nicht vergleichen. Ich denke es oft, wenn ich an Schlangen von Menschen vorbeifahre, ich in meinem gekühlten Auto, sie in der sengenden Sonne, auf einen Minibus wartend, oft stundenlang.

Die Kunst, zu lachen

Solche Ungerechtigkeiten auszuhalten, ist nicht einfach. Doch ich persönlich ziehe es vor, sie zu erleben, anstatt sie nur im Fernsehen zu sehen. Mir hilft es, wenn ich als Journalistin und Filmemacherin darüber berichten kann. Ich habe keine Berührungsängste und war schon mit Gangführern hinter dem Tafelberg oder nachts in Soweto unterwegs. Die Menschen in den Townships heißen mich in der Regel willkommen, wir lachen viel zusammen, der Sinn für Situationskomik scheint bei jenen, die wenig haben, ausgeprägter. Es ist ein Galgenhumor, einer, der hilft, ein Leben voller Schwierigkeiten mit einem Witz zu meistern. Dass viele Schwarze mehr lachen als wir, stimmt. Aber deswegen sind sie nicht unbedingt glücklich in ihrer Armut. Sie wissen nur besser, damit umzugehen. Aber, was weiß ich schon?

Auch nach 25 Jahren in Südafrika verstehe ich immer noch vieles nicht. Mir scheint, dass sich hinter dem Lachen viel versteckt, was wir Europäer nie verstehen werden. Gerade der Aberglaube, die Angst vor dem Verhexen, ist mir bis heute fremd. Ich diskutiere immer wieder mit schwarzen Freundinnen darüber und vielen, die mir beruflich über den Weg laufen. Der junge schwarze Bauer, den ich kürzlich getroffen habe, arbeitet lieber mit einem weißen Bauer zusammen als mit den schwarzen Nachbarn. Denn Letztere könnten ja eifersüchtig sein auf den großartigen Stier, den er bei einer Viehauktion günstig erworben hat. Und ihn daraufhin verhexen oder den Stier verfluchen.

Solche Geschichten habe ich in fast allen afrikanischen Ländern gehört. Ich akzeptiere mittlerweile den Aberglauben so wie Rituale, die mir fremd sind. Dass man bis heute einen Brautpreis bezahlen muss, verstehe ich nicht, ebenso wenig will mir in den Kopf, dass ein schwarzer Mann ein Schadensgeld zahlen muss, wenn er seine Freundin schwängert, ohne mit ihr verheiratet zu sein.

Dann gibt es schöne Rituale, wie das indische Lichterfest, Diwali, das in meiner Familie gefeiert wird. Dass ein neues Auto beim indischen Tempel geweiht werden sollte, indem man über eine Kokosnuss fährt und das Ohm-Zeichen an die Windscheibe malt, finde ich seltsam, aber auch schön, weil man für etwas dankt. Und ich hatte noch nie einen Umfall…

Es wird noch geträumt

Was mir in Südafrika neben der Natur am besten gefällt, ist der „Vibe“. Nirgendwo leben so viele junge Menschen wie hier. Hier wird noch geträumt. Vom besseren Leben, dem Durchbruch, einer Zukunft. Die Träume sind spürbar, sie lassen die Luft vibrieren und sie halten auch mich jung. Hier scheint noch vieles möglich, viel mehr als in Europa, denn dort gibt es fast alles. Und dort, in der reichen Schweiz, kann man nur noch verlieren, was man hat. Das macht sich bemerkbar. Die Menschen sind nicht mehr so großzügig, sie haben eine diffuse Angst. In Afrika gibt es viele Angstmomente, viele Menschen sind und werden täglich traumatisiert. Das Leben ist für die meisten schwierig. Doch genau darum ist Verharren keine Option. Auch für mich nicht.“ Cristina Karrer