Lifeguard Russ beobachtet vom Hochsitz aus den Strand.
Russ hat es sich auf seinem Strand-Turm so gemütlich gemacht wie nur möglich. Seine Beine baumeln über einem Plastikrohr, ein Sonnenschirm schützt ihn vor der sengenden Sonne. „Bei einer Acht-Stunden-Schicht hier oben musst du dir Sachen einfallen lassen“, sagt der 45-Jährige lächelnd. Während er spricht, lässt er den Strand nie aus den Augen. Klar – Russ ist der Lebensretter hier. Der Lifeguard. Wie in „Baywatch“. Nur, dass der Amerikaner eher wie ein netter Realschullehrer aussieht. Vollbart. Brille. „Schau dich um, ist das nicht der schönste Arbeitsplatz der Welt“, strahlt er. Keine Frage: New Smyrna Beach an der Ostküste Floridas ist atemberaubend: Strand und Meer so weit das Auge reicht. Draußen auf den Atlantik-Wellen gleiten ein paar Surfer gekonnt übers Wasser. Russ beobachtet sie. „Seit über 20 Jahren mache ich diesen Job – aber es wird mir nie langweilig“, sagt er grinsend. „Das ist ein Schatz hier.“
Man möchte ihm bei diesen Worten sofort zunicken: Die Florida-Küste rund um New Smyrna Beach – eine Auto-Stunde von Orlando entfernt – ist ein heißer Traum in glitzerndem Pulversand. Sogar im November hat’s 26 Grad. Und der Platz an der Sonne ist ein Geheimtipp. Touristenmassen wie im südlichen Miami? Fehlanzeige! Obwohl der Besucher bei der Auswahl der herrlichen Strände gar nicht weiß, wo er zuerst hinsoll: Cocoa-Beach, Satellite-Beach oder Daytona-Beach laden ein, sich in die Wellen zu stürzen. Oder zu stundenlangen Spaziergängen. Da der feine Sand so hart gepresst ist, kann man hier auch problemlos mit dem Radl an der Brandung entlangfahren. Knapp 30 Kilometer weit. Ohne Limit. Und wer ganz faul ist – der darf sogar mit dem Auto über den Strand rollen. Kein Witz.
Sonne, Sand
& Sümpfe
Beim Erkunden der Region, stellt sich die Frage, welcher Schatz hier an der Atlantik-Küste der größere ist: Die endlosen Strände oder die vielen Flüsse – mit dem immergrünen Marschland – die sich durchs Hinterland schlängeln: der Indian-River, der Halifax-River, der Banana-River, der Tomoka-River – sie sorgen nur wenige Kilometer vom Meer entfernt für wahre Natur-Oasen. Da tummeln sich Delfine, Schildkröten, Wasserkühe und Alligatoren im Wasser. Allein im Tomoka State Park sind zudem über 170 Vogelarten zu Hause. Es kreucht und fleucht. Ein Paradies für Naturfreunde.
Matthew hat sich darauf spezialisiert, Touristen diese Schönheit nahezubringen. Mit speziellen Kajak-Touren. „Ich glaube, dass unser Küstenstreifen einer der naturreichsten Flecken der Erde ist“, sagt er. Seine Beine baumeln im Wasser, während er langsam den Indian-River entlang paddelt. Plötzlich tauchen nur wenige Meter vor ihm zwei Delfine aus dem dunklen Wasser auf. „Die kommen am Nachmittag oft an diese Stelle, weil es hier viele Fische zum Jagen gibt“, erklärt Matthew. Dann zeigt er auf einen Seeadler, der auf einem Mangroven-Ast sitzt.
Man merkt: Er kennt hier jede Bucht, jeden Baum, jeden Vogel. Für 35 Dollar pro Fahrt zeigt er Reisenden die Faszination seiner Heimat. Doch letzten Sommer kamen weniger Gäste, erzählt er. Besonders aus Europa.
„Vielleicht ist es wegen Trump. Aber die Leute haben nichts zu befürchten“, versichert Matthew. „Wir sind noch genauso gastfreundlich wie früher. Egal, wer im Weißen Haus sitzt.“
Wer statt in einem Kajak lieber gemütlich von einem Ausflugsschiff aus die wunderbare Natur erkunden will, sollte unbedingt nach Ponce Inlet fahren. Das Küsten-Spitzerl (nur eine 15-Minuten-Fahrt von Daytona Beach entfernt) ist schon aus der Ferne zu sehen – wegen seines 53-Meter-Leuchtturms aus dem Jahre 1865. Dem größten in Florida übrigens. Die Aussicht von dort oben (203 Stufen!) ist grandios, blickt der Besucher doch über die sumpfige Wasserlandschaft bis hin zum Atlantik. Zudem gibt es einen spannenden Museums-Bereich mit historischen Gebäuden.
Direkt am Pier kann jedermann Bootsausflüge buchen (www.ponceinletwatersports.com). Auch hier lassen sich Delfine bewundern, die teils sogar neben den Booten herschwimmen. „Die Tiere sind unsere Glücksbringer“, sagt Claire, die bei den Ausflügen den Besuchern das marine Leben erklärt.
Wen nach dieser Tour der Hunger plagt, der kann beispielsweise im Lokal Hidden Treasure Rum & Grill direkt nebenan am Pier schlemmen. Südstaatenküche, versteht sich. Noch so ein Schatz dieser Region. Was das heißt? Riesenshrimps, Krabben-Beine und natürlich Green Fried Tomatoes. Irre: Vom Tisch aus kann man Schildkröten und sogar – mit etwas Glück – Seekühe bei der Futtersuche beobachten.
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Oder es flitzt wieder ein Flipper durchs Wasser. Mit rund 45 Stundenkilometern.
Fast genauso schnell ist Dennis unterwegs. Stolz steht er vor seinem Luftboot, mit dem er täglich über die Sümpfe nahe Cocoa-Beach rast.Auch der gemütliche Südstaatler mit der Baseballmütze kennt hier jedes Eck, weiß genau, wo Alligatoren auf Beute lauern oder wilde Kühe durch das schlammige Wasser waten.
Ja, hier gibt es wilde Kühe. „Die haben sich einfach vor vielen Jahrzehnten selbstständig gemacht und leben jetzt bei uns zufrieden“, erklärt er mit brummiger Stimme. Nein, um Sümpfe zu erkunden müsse man nicht in die Everglades, sagt Dennis. „Bei uns ist es viel schöner.“ Genau 35 Euro kostet eine halbe Stunde Fahrt mit ihm und seinem Propeller-Flitzer (www.twisterairboatrides.com). Ein absolutes Muss. So sieht es auch Dennis: „Natürlich kannst du in Orlando Sea World oder Disney World besuchen“, erklärt er kaugummikauend. „Schön. Aber das wahre Florida lernst du hier an unserer Küste kennen.“
Das wahre Florida: Hier gibt es fast nichts, was es nicht gibt. Natürlich auch Haie. Womit wir wieder bei Russ auf seinem roten Strand-Turm wären. Ist das Baden denn in seinem glitzernden Traum gefährlich? „Nicht wirklich“, sagt er und zeigt auf die vielen Surfer. Aber natürlich gebe es überall an der Westküste Haie. „Die Deutschen müssen sich trotzdem keine Sorgen machen: Ich pass schon auf sie auf. Versprochen!“ Also, wenn Sie, liebe Leser, irgendwann am Strand von New Smyrna Beach unterwegs sind – fragen Sie unbedingt nach Russ. Armin Geier