Zur Berichterstattung über die Missbrauchsskandale rund um die Katholische Kirche in Rosenheim (Regionalteil):
Missbrauchs-Skandale erschüttern auch die Stadt Rosenheim. Man sucht nach Ursachen und Schuldigen. Die Verwirrung ist groß. Wem kann man da noch trauen? Wer ist der Nächste? Was gilt es zu ändern, zu reformieren? Viele resignieren, wenden sich erschüttert von der Kirche ab.
Ich möchte diesen traurigen Umständen eine biblische Vision aus dem Evangelium nach Markus 6,30 ff. entgegenhalten, die ich auch mit meinen Schülern teile: Jesus sucht die Einsamkeit, er gönnt den Jüngern Stille und Erholung. Er führt sie zu sich selbst, zum Habitare secum, wo sie ganz bei sich sein dürfen. Die Kirche entlässt die Menschen in ihre Selbstverantwortung.
Die Apostel erzählen von ihren Erlebnissen und Jesus hört ihnen aufmerksam zu. Die Kirche als eine hörende Kirche am Puls der Zeit. Die Menschen kommen in Scharen, sie sind orientierungslos. Jesus hat Mitleid mit ihnen. Die Kirche von heute ist empathisch, sie geht auf die Bedürfnisse der Menschen ein.
Die vielen Leute haben Hunger. Jesus schickt sie nicht weg, er teilt mit ihnen, was sie haben: fünf Brote und zwei Fische. Er gibt Macht ab, er verteilt sie an seine Apostel, die das Essen den Menschen anbieten. Die Kirche bindet ihre Macht nicht an Einzelne, sie gibt ab, sie lässt zu, sie vertraut und sie riskiert, dass einige damit Schaden anrichten könnten.
Jesus setzt sie in Gruppen. Die Kirche dezentralisiert Macht, sie wertet die einzelnen Gemeinden auf.
Jesus lobt Gott. Die Kirche überschreitet sich im Gebet, sie ist nicht das Heil und sie ist nicht das Himmelreich, aber sie verweist darauf. Alle werden satt. Es ist genug für alle da.
Die Kirche hat alles, was die Menschen brauchen. Sie stellt sich in den Dienst der Menschen.
Christian Kuster
Großkarolinenfeld
Leser Jakob Grandl fragt in seinem Leserbrief: „Was hat die Institution Kirche mit dem Missbrauchstäter zu tun?“ Die Kirche könne für die sexuellen Taten eines einzelnen Seelsorgers ebenso wenig wie ein betriebliches Unternehmen für die privaten Fehltritte einzelner Mitarbeiter.
Dieser Vergleich hinkt. Wenn eine Firma ihr Personal unterdrückt und manche anfangen, mit den Kunden ähnlich geringschätzig umzugehen, ist die Firma und ihre Leitung keineswegs unschuldig daran. Entsprechend hat sich auch die Kirche ihrer Verantwortung zu stellen. Ihre Missbrauchsfälle zwingen sie, ihr eigenes System zu hinterfragen.
Herr Grandl meint, die Kirche habe keine Reform nötig, sie sei der Hort unverbrüchlicher Wahrheit und brauche nur am „wahren Glauben unserer Väter und Großväter“ festzuhalten.
Doch in der Geschichte der Kirche wurde schon oft darum gerungen, wie sich der Glaube der Väter, nämlich die Wahrheit von unserer Erlösung durch Jesus Christus, in der jeweiligen Gegenwart ausdrücken und leben ließe.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat sich in den 1960er-Jahren vier Jahre lang damit befasst und dadurch die Katholische Kirche aus einer heute kaum noch vorstellbaren geistigen Verengung herausgeführt.
In Johannes 3,8 steht: „Der Wind weht, wo er will, du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist.“ Die Windrichtung kann, wie es scheint, nicht gewusst, nur erspürt werden. Selig die Feinfühligen.
Otto Wiegele
Rosenheim
Während im Altöttinger Saal Georg Gänswein seinen verstorbenen Chef beweihräucherte, stand draußen auf den Transparenten der Demonstranten „Ratzinger wusste Bescheid“. Der Vorwurf müsste jedoch vielmehr lauten: „Ratzinger befahl Vertuschung und Strafvereitelung“.
Nachdem in den 1990er-Jahren US-Gerichte Millionenzahlungen bei Missbrauchsfällen katholischer Kleriker verhängt hatten, beauftragte Papst Johannes Paul II. seinen Glaubenspräfekten Joseph Ratzinger, das Dekret „De delictis gravioribus“ zu verfassen. In diesem streng geheimen, 2001 an alle Bischöfe versandten Schreiben wurde befohlen, Missbrauchsfälle direkt nach Rom zu übermitteln und nicht zu veröffentlichen. Da derselbe Ratzinger bereits 1987 einen Eid der Bischöfe zur Treue gegenüber dem Papst eingeführt hatte, befolgten diese das unsägliche Geheimdekret und meldeten Missbrauchsfälle nach Rom. Weil dort oftmals gar nicht reagiert wurde, wussten sich die Bischöfe nicht anders zu helfen, als die Täter an andere Orte zu versetzen. Die Aufrichtigen unter den Bischöfen übernehmen in letzter Zeit die Verantwortung für dieses Fehlverhalten. Der Hauptverantwortliche Ratzinger hingegen beharrte bis zum Ende auf seinem angeblichen Nichtwissen. Stattdessen identifizierte er die liberale Sexualmoral der 68er als angebliche Ursache der Missbrauchstaten. Ratzinger war sicher ein herausragender Theologe, aber kein guter Hirte seiner Herde.
Gerhard Widmann
Wasserburg