Waldkraiburg – Morgen ist sein letzter Arbeitstag. „Ich habe die Entscheidung, nach Waldkraiburg zu gehen, nie bereut“, sagt der 63-Jährige. Im Blick auf eine interessante Zeit, die viele berufliche Herausforderungen bereit hielt und die aus dem Niedernbayern, der in Mühldorf wohnt, einen bekennenden Waldkraiburger gemacht haben.
Als der Baujurist aus dem Mühldorfer Landratsamt am 2. Januar 1988 den neuen Posten als städtischer Bauamtsleiter im Waldkraiburger Rathaus antrat, erwarteten ihn hoch interessante und brisante Aufgaben: Die Stadt schickte sich an, die Innenstadt um und neu zu gestalten und ganze Industriebetriebe, die EMG, das Gummiwerk, aus dem Wohnumfeld ins Gewerbegebiet zu verlagern. Diese Themen haben Karosser weiter begleitet, als er nach kaum einem Jahr vom damaligen Bürgermeister Jochen Fischer mit der Geschäftsleitung im Rathaus betraut wurde.
„Wir haben nicht locker gelassen. Und das Gymnasium ist doch gekommen, gegen größte Widerstände.“
Karosser, das war die rechte Hand Fischers. Zwischen diese beiden, so schien es, passt kein Blatt. „In wichtigen Dingen waren wir immer d‘accord“, bestätigt er. Auch die Arbeit in einer kommunalen Verwaltung ist ein Mannschaftsspiel. Es kommt darauf an, dass das Team funktioniert. Mit Hans-Peter Dürsch, seinem Nachfolger als Bauamtschef, und dem Altbürgermeister war das so. „Jeder hat seinen Part erfüllt.“ In enger Zusammenarbeit konnte man selbst Mammutaufgaben wie die Innenstadtsanierung bewältigen. Immer wieder habe sich Fischer Ideen von außen geholt, so Karosser. Er ist bis heute überzeugt, dass Waldkraiburg von der „berühmten Gutachteritis“ profitiert habe, weil sie Ideen in die Stadt gebracht habe.
Neue, ungewöhnliche Wege wurden eingeschlagen: Anfang der 1990er-Jahre wurde die Stadt mit Unterstützung des damaligen Landrates Untere Bauaufsicht, bis heute gibt es nicht viele Kommunen in dieser Größe, die selbst Genehmigungsbehörde sind.
Zu den großen Erfolgen dieser Zeit rechnet er das Vollgymnasium. „Wir haben nicht locker gelassen.“ Fischer sei durch die Ministerien und durchs Landratsamt gelaufen, er, Karosser, habe ihm zugearbeitet. „Und das Gymnasium ist doch gekommen, gegen größte Widerstände. Niemand hatte es geglaubt.“
Der Wettlauf mit der Kreisstadt Mühldorf war damals in vollem Gange. Karosser erinnert sich gerne an kleinere Erfolge, etwa bei der Ansiedlung des ersten McDonalds oder des Multiplex-Kinos. Die Konkurrenz gipfelte im Streit um die Ansiedlung des Globus-Marktes in Mühldorf und die geplante Erweiterung des Waldkraiburger Gewerbegebiets. Am Ende stand ein aus Sicht Karossers „schwacher Kompromiss“: Der Globus wurde etwas kleiner, Waldkraiburg nahm die Erweiterung des Gewerbegebiets zurück.
„Das Hauptziel haben wir nicht erreicht.“
„Unser Hauptziel haben wir nicht erreicht“, stellt er in der Rückschau ernüchtert fest. „Ich hatte immer die Vorstellung, dass Waldkraiburg einmal so normal wird wie Mühldorf und andere historisch gewachsene Städte auch, dass es mit Einrichtungen, mit Behörden ausgestattet ist wie andere Städte, dass der Einzelhandel so funktioniert, wie woanders auch.“
„Die hohe Politik hat die Stadt viel zu wenig unterstützt.“
Dafür, dass sich diese Hoffnung nicht erfüllt hat, macht der scheidende Stadtbau-Geschäftsführer nicht zuletzt „die hohe Politik“ verantwortlich, „weil sie die Stadt viel zu wenig unterstützt hat“. In den 90er-Jahren sei Waldkraiburg auf einem guten Weg gewesen. „Dann hat man uns wieder allein gelassen.“ Ein aktuelles Beispiel ist für ihn die Entwicklung bei der Fachhochschule. „Da hätte einer von den hohen Politikern schon mal überlegen müssen: Kann ich für Waldkraiburg etwas tun, damit die Stadt auf die Füße kommt?“
Karosser räumt Fehler ein. „Wir haben uns von den Fachleuten einbläuen lassen, den Einzelhandel draußen auf der grünen Wiese zu verhindern, um das Zentrum zu stärken. Wir waren davon überzeugt.“ Doch dieses Kalkül ging nicht auf. „Der Effekt war: Andere haben uns den Rang abgelaufen.“ Heute sei der Einzelhandel in Waldkraiburg draußen schwach und drinnen geschwächt.
Stichwort Stadtmarketing und Wirtschaftsförderung: Als Geschäftsleiter habe er diese Aufgaben „mit Herzblut“ betrieben und gute Beziehungen vor allem zu den Industriebetrieben aufgebaut. „Aber ich war der Meinung, das geht nicht nebenbei. Wir müssen das professionalisieren.“ Die Stadtmarketing GmbH habe die Erwartungen nicht erfüllt. Karosser, der ihr Gründungs-Geschäftsführer war, war auch ihr Liquidator.
Positiver fällt seine Bilanz auf einem anderen Feld aus: Die Waldkraiburger sollten ein Geschichtsbewusstsein für ihre Stadt entwickeln, nicht für ihre Herkunftsorte. Das war ihm ein großes Anliegen. Deshalb war es aus seiner Sicht so wichtig, einige alte Gebäude zu belassen. Der Bunker 29, in dem sich heute ein viel beachtetes Industriemuseum befindet, ist dafür ein Beispiel. Auch der „Weg der Geschichte“, der auf eine Idee Karossers zurückgeht. Von einer USA-Reise, wo er in Boston den „Freedom Trail“ gesehen hatte, brachte er sie mit.
Und er deutet in seinem Büro im historischen Saalgebäude im Föhrenwinkel nach oben. „Dass wir hier sitzen, darauf bin ich stolz.“ Dass es gelungen sei, so viele staatliche Fördermittel für die Sanierung dieses Gebäudes zu generieren, das für einen Teil der Stadtgeschichte steht. Wäre dies nicht geschehen, wäre der Föhrenwinkel heute „ein reiner Siedlungsbrei“ mit lauter Reihen- und Doppelhäusern.
Deshalb ist es dem Stadtbau-Geschäftsführer auch so wichtig, den alten Bahnhof durch eine tragfähige Nutzung zu erhalten. Wenige Tage vor seinem Ausscheiden sieht es gut aus, dass die Sanierung und die Erweiterung zu einer Heilpädagogischen Tagesstätte, ein zentrales Projekt, das er sich für sein letztes Jahr bei der Stadtbau vorgenommen hatte, tatsächlich gelingen kann (siehe Kasten).
In wenigen Tagen beginnt ein ganz neuer Lebensabschnitt. Hermann Karosser freut sich auf mehr Zeit mit der Familie, den beiden Enkelkindern, darauf, so viel wie möglich selbst in Haus und Garten zu machen. „Im Winter habe ich meine Modelleisenbahn.“ Auch in Waldkraiburg wird man ihn regelmäßig treffen. Er hat ein Abo im Haus der Kultur und Freunde in der Stadt. Und freut sich drauf, auf einen Kaffee bei der Stadtbau vorbei zu schauen.