Herr Mück, wofür steht das Gedenkkreuz, das auf dem Waldfriedhof eingeweiht wird?
Das Vertreibungskreuz wurde 2006 dem Verein der Adlergebirgler von der Witwe des tschechischen Künstlers Jaroslav Tschöpa geschenkt.
Jahre später stellte man fest, dass es ein Modell aus Gips ist. Der Verein bemühte sich um einen Guss, da das Gipsmodell nur begrenzt haltbar ist. Aus Kostengründen wurde das Kreuz in Grauguss gegossen. Die Jahreshauptversammlung des Vereins 2017 regte an, das Kreuz als Gedenkstätte der Vertreibung der Adlergebirgler und als Mahnmal gegen jede Vertreibung im Waldfriedhof Waldkraiburg aufzustellen.
Wie viele Menschen aus dem Adlergebirge wurden damals vertrieben?
Die Vertreibung aus dem Adlergebirge erfolgte in zwei Etappen. Im Juni 1945 wurden die deutschen Einwohner der grenznahen Dörfer widerrechtlich innerhalb weniger Stunden nur mit Handgepäck in das benachbarte Schlesien vertrieben. Ein Teil davon kehrte in die Orte zurück. Von Mai bis September 1946 wurden auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens die meisten Deutschen mit 30 bis 50 Kilogramm Gepäck pro Person in Güterwaggons nach Deutschland abtransportiert, 1200 Menschen pro Transport. Von der Wilden Vertreibung liegen bisher keine Gesamtzahlen vor. Von ehemals 35000 Einwohnern der Heimatlandschaft Adlergebirge mussten durch die „geordnete“ Vertreibung 1946 etwa 19000 Deutsche ihre Heimat verlassen.
Sie waren damals ein Kind, wie ist es Ihnen und Ihrer Familie ergangen?
Ich war damals sechs Jahre alt. Meine Eltern, meine zwei jüngeren Brüder und ich waren beim 5. Transport aus dem Sammellager Grulich im Juli 1946 dabei. Außer dem ersten Transport gingen alle anderen der elf Transporte in die sowjetische Besatzungszone. Die Güterwaggons waren auf der einen Hälfte mit dem Gepäck der 30 Leute beladen, auf dem dann die Kinder Platz fanden. Im übrigen Waggon saßen und standen die Erwachsenen. Unser Transport kam in die Provinz Sachsen (heute Sachsen-Anhalt). In Rehmsdorf, einem kleinen Ort bei Zeitz, mussten alle Waggons entladen werden. Der Zug fuhr leer zurück, um eine Woche später für den nächsten Transport bereit zu stehen. Wir kamen in ein Quarantänelager.
„Versöhnung ist nur möglich, wenn beide Partner die Einsicht ihrer Schuld haben.“
Warum ist es Ihnen heute, über 70 Jahre später, so wichtig, an diese Ereignisse zu erinnern?
Weil heute auch Millionen von Menschen vertrieben werden, muss an das Verbrechen der Vertreibung immer erinnert werden. Trotz meiner zahlreichen Urlaube in der Tschechoslowakei war die Vertreibung der Deutschen dort niemals ein Thema. Bei meinen 20 Busfahrten in die Adlergebirgsheimat habe ich in vielen Gesprächen festgestellt, dass der jüngeren Generation der Tschechen die Verbrechen der Nachkriegszeit an den Deutschen gar nicht bekannt sind. Die Aufarbeitung dieser Geschichtsepoche in der Tschechischen Republik steht noch aus. Versöhnung ist aber nur möglich, wenn beide Partner die Einsicht ihrer Schuld haben. Für diese Aufarbeitung stehen in unserem Adlergebirgsarchiv in Waldkraiburg zahlreiche Dokumente und Berichte zur Verfügung, die immer öfter von jungen Tschechen genutzt werden.
Warum gehört diese Gedenkstätte grade nach Waldkraiburg?
Waldkraiburg ist die Patenstadt der Heimatlandschaft Adlergebirge. Dass wir das Modell des Vertreibungskreuzes geschenkt bekommen haben, ist Zufall. Es ist aber ein eindrucksvolles Mahnmal gegen die Vertreibung. Deshalb suchten wir nach einer sinnvollen Verwendung des gegossenen Kreuzes. Wir sind froh, dass der Stadtrat unser Anliegen, damit eine Gedenkstätte der Vertreibung der Adlergebirgler zu errichten, unterstützt hat und den Ort der Aufstellung im Waldfriedhof genehmigt hat.
Das Vertreibungskreuz stammt von einem tschechischen Künstler, Jaroslav Tschöpa. Was bedeutet das für Sie?
Der tschechische Künstler Jaroslav Tschöpa, der aus einer deutsch-tschechischen Familie stammt, hat sich intensiv mit der Vertreibung der Deutschen aus Böhmen auseinander gesetzt. 1996 erhielt Jaroslav Tschöpa in Deutschland den Sudetendeutschen Kulturpreis für bildende Kunst. Im Archiv haben wir einen ganzen Vertreibungszyklus von ihm, den wir beim Begegnungsabend den Besuchern vorstellen möchten. Ich habe Herrn Tschöpa bei einer Gedenkfeier zum 50. Jahrestag der Vertreibung in Grulich kennengelernt und schätze seine Werke sehr.Interview: Hans Grundner