Waldkraiburg – „Was geschah eigentlich an diesem 4. März 1919?“ Diese Frage hörte man von einigen Teilnehmern, die sich am Mahnmal der Vertreibung zum Gedenktag der Sudetendeutschen eingefunden hatten, der sich in diesem Jahr zum 100. Mal jährte.
Als Festredner gab Leonhard Schleich, Stellvertreter des Landesobmanns der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL), eine fundierte Antwort auf die Frage nach dem Sinn dieses 4. März 1919. Er ging von den zahllosen Gedenktagen aus und zitierte den ehemaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss: „Vergessen ist Gnade und Gefahr zugleich!“
In seinem Rückblick verwies Schleich darauf, dass schon ab dem 12. Jahrhundert deutsche Bauern, Handwerker und Kaufleute die Randgebiete des Böhmischen Beckens besiedelt hatten und das Land zur Blüte brachten. Jahrhundertelang lebten sie friedlich mit den Slawen zusammen. Erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts kamen nationalistische Strömungen auf und die Gegensätze verschärften sich, als Österreich aus dem Deutschen Bund ausschied. Im Oktober 1918 – 14 Tage vor dem Ende des Ersten Weltkriegs – proklamierte Tomas Masaryk in Prag die Gründung der Tschechoslowakei. Vieles gab es zu klären: Welche Territorien sollten dem neuen Staat angehören? Was würde mit der deutschen Bevölkerung passieren? Fortan wurden die in der neuen Republik lebenden Deutschstämmigen als „Sudetendeutsche“ bezeichnet und alle offenen Fragen entschied man zu ihren Ungunsten. Krankheit und Hunger herrschten, die Versorgung der Bevölkerung war völlig ungenügend. Auch an den Parlamentswahlen von Deutsch-Österreich durften sie nicht teilnehmen. Daraufhin riefen die Parteien zu friedlichen Demonstrationen auf und die deutsch-böhmische Landesregierung mit Rudolf Lodgeman von Auen und Josef Seliger zum gewaltlosen Generalstreik.
Besonders aber wies man auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker hin, das der amerikanische Präsident Woodrow Wilson als Grundprinzip der Friedensregelung proklamiert hatte. An diesem 4. März 1919 nahmen etwa 250000 deutschsprachige Bürger vielerorts an den Demonstrationen teil, in Karlsbad allein waren es 20000. Wo sich das tschechische Militär zurückhielt, verlief alles friedlich; vereinzelt jedoch eröffneten die Soldaten das Feuer: 54 Menschen kamen ums Leben, es gab 107 Verwundete.
„Das Selbstbestimmungsrecht der deutschen Bevölkerung ging mit den Schüssen vom 4. März 1919 unter!“, so Schleich. Er erinnerte an die Worte von Bundespräsident Roman Herzog am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus: „Die Erinnerung darf nicht enden, sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen.“ Dies gelte heute mehr denn je; das Recht der Mitbestimmung müsse aktiv wahrgenommen werden, etwa bei der Wahl zum Europäischen Parlament. Man solle sich einsetzen für ein Europa der freien Völker, die in Freundschaft, Frieden und guter Nachbarschaft zusammenarbeiten. „Mit der jährlichen Erinnerung will die sudetendeutsche Volksgruppe einen Stolperstein im Jahresverlauf setzen, der uns sensibilisieren soll für die Bedürfnisse und das Selbstbestimmungsrecht ethnischer Gruppen. Wir alle sind aufgefordert, je nach individuellen Möglichkeiten, an der Gestaltung einer friedlichen Welt mitzuarbeiten!“
Die Fahnenabordnungen und die Egerländer Bläsergruppe gaben der Veranstaltung einen Rahmen, zu der Andreas Pawel, SL-Ortsvorsitzender, als Gäste unter anderem MdL Marcel Huber, Landrat Georg Huber sowie Bürgermeister Pötzsch willkommen hieß.
(In der gestrigen Ausgabe haben wir leider den falschen Text zur Gedenkstunde der SL veröffentlicht. Heute lesen Sie deshalb die aktuelle Fassung). fis