Amerang/Landkreis – „Furchtbar, diese Schreie der verletzten Kitze“. Der Gedanken daran, wie qualvoll Tiere sterben, wenn sie unter das Schneidewerkzeug von Mähmaschinen geraten, lässt Marie-Therese Schurrer erschauern. Auch Rafael Wincalowicz und Beatrice Anke wollen das Leid nicht länger mit anhören – und mit ansehen. Denn ihre Hunde haben in den vergangenen Jahren bei Spaziergängen schon abgehackte und zerfetzte Gliedmaßen gefunden. Immer wieder stoßen die Freunde beim Gassigehen am Waldesrand auf Kadaver. „Ein schrecklicher Anblick“, den sie nicht länger hinnehmen werden. Mit Sabine und Hans Bockting, Doris Hartmann und Sabrina Augenstein haben sie die Wildtierhilfe Amerang e.V. gegründet. Ihr Ziel: Rettung der Rehkitze vor dem Mähtod.
Hochmoderne
Technik
Dabei setzen die sieben Gründungsmitglieder des Vereins nicht auf die gängigen, oft wenig erfolgreichen Methoden des Vergrämens durch Geräusche oder des Aufscheuchens, sondern auf eine hochmoderne, weitaus effektivere Technik: auf Drohnen, die Wiesen und Felder mit einer Wärmebildkamera überfliegen. Dies geschieht in den frühen Morgenstunden, wenn es noch kühl ist und sich die Körperwärme der Kitze deutlich von dem umgebenen hohen Gras unterscheidet.
Für den Drohnen- und Kameraeinsatz heißt es ab Ende April früh aufstehen, vor Sonnenaufgang gegen 4.30 Uhr – und das wochenlang. Denn Rehe haben eine lange Tragezeit. Ihre Jungen kommen zwischen Ende April und Ende Juni auf die Welt. „Wir werden diesen Frühling übermüdet, aber glücklich erleben“, ist Anke überzeugt. Wie groß die Gefahr für Kitze ist, untermauern Zahlen: Die Deutsche Wildtier-Stiftung geht davon aus, dass jährlich etwa 90000 in Deutschland den Mähwerken zum Opfer fallen.
Keine
Fluchtreflexe
Der Grund für diese hohe Todesrate: Rehkitze haben noch keinen Fluchtreflex, erläutert Schurrer. Die Kitze liegen im dichten Gras und rühren sich nicht vom Fleck. Die Fahrer der heute sehr schnellen und breiten Maschinen können sie nicht sehen. Kleine Rehkitze besitzen außerdem noch keinen typischen Wildgeruch: Suchhunde spüren sie in der Regel nicht auf. Selbst wenn sie ihren Liegeplatz kurzzeitig verlassen, drängt es sie schnell wieder zurück, weil es der Platz ist, der ihnen die Mutter zugewiesen hat, erläutern die Mitglieder.
Bei einem Erntedankfest beschlossen sie im vergangenen Jahr, zu handeln. Mut machte den Freunden ein Erfahrungsbericht von Ehrenamtlichen aus Traunstein: In acht Wochen Drohneneinsatz retteten die Ehrenamtliche hier 60 Kitze vor dem Mähtod. Bis zu 20 Jungtiere pro Feld wurden erfolgreich aufgespürt.
Ähnlich wollen die Vereinsmitglieder nun auch rund um Amerang tätig sein. Bevor es losgeht in wenigen Wochen, muss jedoch die Drohne mit Kamera gekauft werden. Für die Finanzierung der Kosten in Höhe von 5000 Euro sucht der Verein weitere Spenden. Die Aktiven müssen außerdem noch lernen, sie zu fliegen.
Landwirte
müssen helfen
Dass sie in der Mähzeit nicht überall gleichzeitig sein können, ist den Helfern bewusst. Doch sie wollen etwas tun – und sind bereit, viel Freizeit zu opfern. Damit die Aktion ein Erfolg wird, benötigt der Verein nicht nur weitere Spenden für die Drohne, sondern auch die Unterstützung der Landwirte. Diese haben offene Ohren für das Anliegen, freut sich Schurrer: „Viele Bauern fühlen sich mit der Tatsache, dass die Mähmaschinen die Kitze gefährden, allein gelassen“, stellt Anke fest.
„Wir hoffen, dass es klappt“, sagt eine junge Bäuerin aus Obing, die von einer „großen Erleichterung“ angesichts der Unterstützung durch die Wildtierhilfe Amerang spricht. Ihre einzige Sorge: enge Zeitfenster, in denen alle gleichzeitig mähen, Helfer aber nicht überall gleichzeitig sein können.
Auch Werner Fröwis, Vorsitzender der Kreisgruppe der Jäger für Wasserburg-Haag, findet die Idee „sehr gut“. „Jedes Wildtier, das gerettet werden kann, ist es wert“, sagt er. Was Fröwis besonders mitnimmt: Tiere, die nicht sofort den Tod finden, sondern lange leiden müssen. Das Leid der Tiere ist die eine Seite, der Bauer hat jedoch auch aus betrieblichen Gründen ein Interesse daran, dass Wildtiere nicht von Mähwerken zerstückelt werden. Denn das Fleisch kann im Futter landen und dort Giftstoffe entwickeln.
Fröwis hofft auf einen engen Schulterschluss von Bauern, Jägern, Waldbesitzern und Helfern: Keiner dürfe den Mähtod einfach achselzuckend in Kauf nehmen. Auf einen Bewusstseinswandel setzt auch der Verein Wildtierhilfe Amerang. „Wir hoffen darauf, dass sich unsere Aktion schnell herumspricht und es zur Normalität wird, vor dem Mähen die Felder auf Kitze abzusuchen.“