München/Berg – Kinder wollen die Welt entdecken und können Risiken noch nicht abschätzen. Mit schrecklichen Folgen: Unfälle sind in Deutschland die häufigste Todesursache für Kinder ab einem Jahr, schreibt das Bundesgesundheitsministerium.
153 Kinder starben laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2019 in Deutschland nach einem Unfall. Experten gehen davon aus, dass viele dieser Unfälle vermeidbar wären. Wenn etwas passiert, kann rasches Handeln Leben retten. Wie Sie richtig reagieren, erklärt Dr. Nicola Pape-Feußner aus Berg am Starnberger See. Sie ist Fachärztin für Kinderheilkunde und Jugendmedizin und war jahrelang Kindernotärztin der vier Münchner Kinderkliniken.
Knopfbatterie verschluckt
„Wenn ein Kind eine Knopfbatterie verschluckt, ist das einer der schlimmsten Unfälle“, sagt Dr. Nicola Pape-Feußner. Die Kinderärztin warnt davor, zuhause Batterien herumliegen zu lassen – auch keine alten entladenen. „Denn diese sind niemals ganz leer, es ist immer noch ein wenig negative Ladung drauf und diese verursacht Nekrosen im Gewebe, das heißt, das Gewebe geht kaputt“, erklärt sie und rät: „Sofort in Krankenhaus, wenn auch nur der Verdacht besteht, dass ein Kind eine Knopfbatterie verschluckt haben könnte, jede Minute zählt.“ Am besten ist eine Klinik mit einer Kinderchirurgie. „Dort sieht man nach, ob das Kind eine Batterie verschluckt hat. Dies geschieht mit einem Magneten oder mit Röntgen.“ Herausgeholt wird die Knopfzelle per Gastroskopie, also eine Bauchspiegelung, oder durch eine Operation.
Putzmittel oder giftige Pflanze geschluckt
Meist führt eine Verkettung von unglücklichen Umständen zu einem Vergiftungsunfall, weiß die erfahrene Kinderärztin. Dass Kinder Wasch- oder Spülmittel trinken, kommt häufig vor. „Sie sehen die Flasche häufig und sind einfach neugierig.“ Wichtig: „Wenn alles normal war und plötzlich etwas nicht mehr in Ordnung ist, sollte man an eine Vergiftung denken“, sagt Dr. Nicola Pape-Feußner. In vielen Reinigungsmitteln sind giftige Stoffe, und auch viele Pflanzen sind giftig – auch einige, die bei vielen Menschen im Wohnzimmer stehen, wie etwas das Alpenveilchen, die Begonie, die Amaryllis oder auch der Weihnachtsstern. Die giftigste Pflanze Europas, der Eisenhut, steht in vielen Zierbeeten und auch Rizinus, Eibe, Goldregen und Herbstzeitlose sowie Maiglöckchen und Efeu sind häufig zu finden. Bei der Eibe sind die Beeren weniger giftig als die Nadeln – wenn Kinder die Pflanzenteile essen würden, wäre das im Zweifelsfall tödlich.
Hochgefährlich ist übrigens auch die beliebte Zierpflanze Oleander – diese sollte man nur mit Handschuhen zuschneiden. Alleine der Hautkontakt mit Oleander kann schon zu Hautreizungen führen – verschluckt man Pflanzenteile oder benutzt man die Äste beispielsweise für Stockbrot, kann das tödlich enden!
Wirksame Gegenmittel gegen Vergiftungen
Die wichtigste und allererste Maßnahme: Sofort den Giftnotruf anrufen. „Der hat deutschlandweit die Nummer 19240, und man wählt die Vorwahl der nächsten großen Stadt davor, in München und Umland ist das 089“, sagt Dr. Nicola Pape-Feußner und rät, sich die Nummer 089/19 240 für den Notfall bereitzuhalten. Wer diese Nummer wählt, landet bei der Toxikologie im Uni-Klinikum rechts der Isar. Dort sollte man drei Sachen angeben: Das Alter und das Gewicht des Kindes und den Giftstoff.
Lassen Sie das Kind nicht erbrechen, sagt Dr. Pape-Feußner. Zudem sollte man dem Kind keine Milch zu trinken geben – diese sorgt dafür, dass das Gift schneller vom Körper resorbiert, also aufgenommen wird. Gut ist es, dem Kind Wasser oder Saft zu trinken zu geben, um so das Gift in Mund und Speiseröhre zu verdünnen.
Hat ein Kind Wasch- oder Spülmittel getrunken, rät die Kinderärztin, den Kindern Saab Simplex oder Lefax zu verabreichen – aber erst nach Rücksprache mit den Fachleuten vom Gifttelefon. Diese beiden Medikamente hemmen die Schaumbildung.
Das beste Geschenk zur Geburt: Kohlepulver
Kohle bindet die Gifte im Körper. Da aber Kinder Kohletabletten nicht schlucken, sollten alle Eltern Kohlepulver zuhause haben. „Das beste Geschenk für einen Neugeborenen ist Kohlepulver – es wird im besten Fall nicht gebraucht, aber wenn es gebraucht wird, dann rettet es Leben“, sagt Dr. Pape-Feußner. Am besten ist es, Kindern das Kohlepulver aufgelöst in Wasser oder Saft zu verabreichen. Schon nach 90 Sekunden hat es sein Wirkmaximum erreicht und bindet das Gift.
Sich an Steinchen oder Erbse verschluckt
Wenn sich ein Kind an einem Gegenstand verschluckt, sollte man ihm auf den Rücken klopfen. Ja nach Alter kann man die Schwerkraft ausnutzen und das Kind kopfüber halten, damit der Gegenstand leichter wieder herauskommen kann. Nur muss man unbedingt bei kleinen Kindern den Kopf festhalten, sonst riskiert man ein Schüttel-Trauma, warnt die Ärztin.
Nach einem Sturz auf den Kopf wachsam sein
Kinder fallen häufig hin – und auch oft auf dem Kopf. Auch wenn es sich komisch anhört – wenn sie danach direkt gleich losschreien, dann ist das ein gutes Zeichen. „Man muss genau schauen, ob sie die ersten Sekunden nach dem Sturz bewusstlos waren und die Kinder 48 Stunden lang gut beobachten und nicht alleine lassen“, erklärt die Kinderärztin. Wichtig ist es, zu prüfen, ob das Kind ansprechbar ist und selbst normal spricht. Wenn es erbricht, die beiden Pupillen unterschiedlich reagieren, wenn man in sie hineinleuchtet, sind das ernst zu nehmende Anzeichen eines Schädel-Hirn-Traumas. „Nach jedem Kopfsturz kann es innerlich bluten, und die Gefahr ist dann der steigende Hirndruck – bei ganz kleinen Kindern ist die Fontanelle noch offen, aber ab eineinhalb Jahre ist der Schädel fest.“ Kinder sollten dann möglichst schnell ins Krankenhaus gebracht werden.
Quetschungen sofort gut kühlen
Klemmt sich ein Kind einen Finger in einer Türe ein, ist der Schmerz meist stark. Kinderärztin Dr. Nicola Pape-Feußner rät dazu, den Finger schnell zu kühlen. Wenn ihn das Kind nicht mehr spürt oder bewegen kann, sollte man es einem Arzt vorstellen und der entscheidet dann, ob er röntgen muss.
So versorgen Sie Platzwunden richtig
„Bei einer Platzwunde am Kopf ist schnell alles voller Blut, das kann schockieren“, sagt Dr. Nicola Pape-Feußner. Größere Wunden können genäht oder geklebt werden – aber nur binnen sechs Stunden. Wenn ein Kind eine riesige Beule bekommt, die droht, zur Platzwunde zu werden, dann sollte man kühlen, damit der Bluterguss nicht zu stark anschwillt.
Ein Sonnenstich wird leicht übersehen
„Zu einem Sonnenstich kommt es häufiger, als die meisten Eltern denken“, sagt Dr. Nicola Pape-Feußner. Auch bei bedecktem Himmel besteht vor allem in der Mittagszeit diese Gefahr. Symptome sind ähnlich denen einer Hirnhautentzündung, also ein heißer Kopf, Kopfschmerzen, Übelkeit, manche Kinder haben auch Fieber und starken Durst. Man sollte sich hinlegen, den Oberkörper leicht erhöht lagern und den Kopf kühlen, damit die Hirnhäute abschwellen.
Hitzschlag-Gefahr wird unterschätzt
Man möchte es nicht glauben, dass es noch immer passiert, dass Kinder an sonnigen Sommertagen im Auto gelassen werden. Schnell sind es im Auto dann 70 Grad – und es kommt zur Katastrophe. Bei einem Hitzschlag ist die Haut heiß, der Kopf schmerzt und das Kind kann bewusstlos werden. „Sorgen Sie für ein rasches Abkühlen und rufen Sie den Notarzt, das Kind braucht meist schnell intensivmedizinische Behandlung“, sagt Dr. Nicola Pape-Feußner.
Rettung bei drohendem Ertrinken
Niemals kleine Kinder unbeaufsichtigt in die Nähe von Wasser lassen. Droht ein Kind zu ertrinken, ist es wichtig, es nach der Rettung aus dem Wasser in eine stabile Seitenlage zu bringen. Wenn Sie einen Atem- und Kreislaufstillstand feststellen, beginnen Sie sofort mit der Wiederbelebung und rufen den Notarzt. Diesen müssen Sie immer rufen, auch wenn ein Betroffener schnell wieder atmet. Denn es kann Wasser in die Lunge gelangt sein, und dies ist hoch gefährlich und kann auch Stunden später noch zum Tod führen.