Wasserburg – Volle Cafés und Lokale, gut besuchte Stadtfeste: Auf den ersten Blick schaut es aus, als ob es den Wasserburgern richtig gut geht. Doch auch das gibt es: Flaschensammler, Obdachlose, lange Schlangen an der Tafel. Und auch der Mittelstand ist in Sorge: Das Geld wird angesichts steigender Lebensmittel- und Energiepreise knapp. Wie groß ist die Angst vor dem sozialen Abstieg? Die OVB-Heimatzeitungen haben zwei Frauen gefragt, die die Stimmung kennen: Ethel-D. Kafka, Leiterin des Bürgerbahnhofs, die sich allen Facetten der sozialen Beratung widmet, und Friederike Kayser-Büker, Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt und Seniorenreferentin des Stadtrats.
Keine Stadt
der Topverdiener
Die Sonne scheint auf die Terrasse des Cafésito am Bürgerbahnhof, an den Tischen wird Frühstück serviert, Gelächter und fröhliche Stimmen sind zu hören. Kafka und Kayser-Büker bemühen sich während des Gespräches um Sachlichkeit, doch ihre Gesichter sprechen Bände: Auch sie sind in Sorge angesichts zunehmender banger Fragen in der Bevölkerung. Denn: „Wasserburg ist keine Stadt der Topverdiener“, weiß Kayser-Büker. Die Masse der Bürger arbeite in der Pflege in den Kliniken und der Stiftung Attl, außerdem als Facharbeiter in den großen Unternehmen der Stadt.
Die haben sich während der Pandemie als sehr resistent bewiesen, es gab kaum Kurzarbeit. Trotzdem: In Familien mit kleinen Kindern beispielsweise, in denen nur ein Elternteil ganztags arbeiten kann, ist eine sparsame Haushaltsführung ein Muss. Vor allem dann, wenn kein Wohneigentum vorhanden ist. Da kann eine Strom-Nachzahlung, wie sie angesichts der steigenden Nebenkosten zu erwarten ist, schon ein kleines finanzielles Desaster werden – oder die notwendige Reparatur des defekten Autos, ergänzt Kafka.
Sonderausgaben zu stemmen, das bereite auch dem unteren Mittelstand in Wasserburg oft Sorgen – „das ist ein Problem, das sich jetzt noch verschärfen wird“, ist die Leiterin des Bürgerbahnhofs überzeugt. In vielen Familien seien deshalb Extras wie eine Urlaubsreise gestrichen. Der Rotstift regiere – vorausschauend angesichts der hohen Inflation und steigender Preise. Und immer mehr Wasserburger benötigen Unterstützung vom Staat, wie unsere Grafik oben zeigt.
Während der Mittelstand gerade noch zurechtkommt, gibt es Bürger, die nicht mehr ohne staatliche oder kommunale Hilfe klarkommen. „Armut ist auch in Wasserburg weiblich“, so die Erfahrung von Kayser-Büker, die daran erinnert, dass vor allem alleinziehende Frauen und Seniorinnen mit kleiner Rente zu kämpfen haben. Kafka nickt, weist aber darauf hin, dass es auch Männer gibt, die mit Unterhaltszahlungen zu kämpfen haben oder alleinerziehend sind.
Zusammenfassend sagen die Expertinnen deshalb, Armut treffe vor allem Menschen, die nicht oder nur wenig arbeiten können, alleine leben, zur Miete wohnen, ohne Chance auf Erbschaft oder die Möglichkeit, einen Notgroschen anzusparen sind. Denn das werde immer schwieriger, wenn der Lebensunterhalt und das Wohnen das gesamte monatlich zur Verfügung stehende Geld auffressen würden.
Neben Alleinerziehenden besonders betroffen: Rentner. Vom Entlastungspaket der Bundesregierung beispielsweise würden sie nicht berücksichtigt, kritisiert die AWO-Vorsitzende. Nach dem Gießkannenprinzip würden Entlastungsmittel verteilt, ärgert sie sich. „Das empfinde ich als ungerecht.“ Kafka betont zwar, vor allem ältere Menschen hätten aufgrund ihrer Biografie, bei der vor allem die Kriegs- und Nachkriegsgeneration oft durch den Scheuersack gegangen sei, eine hohe Resilienz. Selten werde geklagt, vielmehr das Schicksal angenommen, weiß auch Kayser-Büker. „Alte Menschen haben gelernt, mit Krisen umzugehen“, jüngere seien da viel überforderter.
Ältere gehen mit Krisen besser um
Das Angstthema Nummer eins derzeit: „Die Heizkostenabrechnung“ – und die Frage: „Muss ich diesen Winter frieren?“ Ebenfalls ein großes Thema bei Angehörigen von Wasserburgern, die Pflege benötigen: Wie teuer wird sie aufgrund der hohen Inflation? Es gebe Familien, die sich Gedanken machen würden, ob sie Oma oder Opa nicht wieder aus dem Heim nehmen müssten, weil es unbezahlbar werde. „Das geht dann wieder zulasten der Frauen, die aufhören zu arbeiten“, weiß Kayser-Büker aus Erfahrung. Ein Teufelskreis.
Schier unmöglich sei es derzeit, so die Seniorenreferentin und AWO-Vorsitzende, eine kleine, barrierefreie, bezahlbare Wohnung in Wasserburg zu finden. Deshalb sei der Weg der Stadt der richtige: Wo immer es möglich sei, verdichtet zu bauen und geförderte Wohnungen mit Sozialbindung einzuplanen. Wobei Kafka betont: Auch für Familien sei es derzeit sehr schwer, in Wasserburg eine günstige Wohnung zu ergattern. Viele würden deshalb in ihrer Not bis an die Grenze des finanziell Machbaren gehen, viel zu viel Geld gehe dann drauf für das Wohnen.