Der neue Chefarzt im Aufnahmezentrum: Dr. Niels-Christian Köstner weiß Rat bei schweren psychischen Krisen. Foto Duczek
Wasserburg – Arbeitsplatz gekündigt, Wohnung verloren, Ehe oder Partnerschaft gescheitert: Das sind Lebenskrisen, die Betroffene aus der Bahn werfen können. Manchmal so sehr, dass aus der Verzweiflung ein Gefühl der Ausweglosigkeit entsteht, einhergehend mit Panikattacken, wochenlanger Schlaflosigkeit oder sogar mit Suizidgedanken.
1000 Aufnahmen
pro Jahr
Dann ist medizinische Hilfe dringend vonnöten. Haus- oder Fachärzte als Einweiser, manchmal sogar die Patienten selber, greifen zum Telefon und melden sich im Psychiatrischen Aufnahmezentrum am kbo-Inn-Salzach-Klinikum (ISK). 25 bis 30 Betroffene werden hier laut ISK werktäglich registriert, 1000 Aufnahmen pro Jahr erfolgen auf den zuständigen Stationen A3 und A4 (mit Mutter-Kind-Station), die sich der Krisenintervention widmen.
Seit Kurzem sind Aufnahmemanagement und Allgemeinpsychiatrie in einer neuen Abteilung zusammengeschlossen. Chefarzt ist Dr. Niels-Christian Köstner. Der 46-Jährige ist quasi ein „Gabersee-Eigengewächs“. 2005 kam der gebürtige Bamberger als junger Mediziner ans ISK, wurde hier 2011 Oberarzt, 2019 Leitender Oberarzt. Nun hat er den neuen Bereich als Chefarzt übernommen. Ärztlicher Direktor Professor Dr. Peter Zwanzger sieht in der Personalie einen wichtigen Schritt in der strukturellen Neuaufstellung des psychiatrischen Fachkrankenhauses: Mit Köstner sei ein sehr erfahrener Psychiater aus dem eigenen Haus für die neue Aufgabe gewonnen worden, der alle klinischen Bereiche kenne, großes Know-how in der Krisenintervention aufweise und das Aufnahmezentrum selbst mit aufgebaut habe.
Es ist eine Einrichtung, die aus der Not geboren wurde – in der Hochphase der Corona-Krise im März 2020, als es galt, die Patientenströme aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr zu steuern. Aus der Pandemie wurde eine Endemie, also eine steuerbare, kontrollierbare Erscheinung. Doch das Aufnahmezentrum in Haus 23 auf dem Gabersee-Gelände blieb.
Nachfrage ist
stark gestiegen
Denn die Nachfrage nach psychiatrischer Hilfe oder Aufnahme ist stark gestiegen, berichtet Zwanzger. Die Zahl der Patienten, die sich in akuten Krisen befinden würden, nehme weiter zu. Das habe mehrere Gründe: Das Bewusstsein für psychische Erkrankungen sei gestiegen, das Stigma eines seelischen Leidens nicht mehr so stark. Betroffene würden sich früher Hilfe holen. Gleichzeitig sei die ambulante Versorgung schlechter geworden: Es gebe weniger Haus- und Fachärzte, in den Praxen oft sehr lange Wartelisten.
Doch nicht jeder, der in einer schweren psychischen Krise stecke, benötige eine stationäre Aufnahme. Deshalb sei es ratsam, zuerst abzuklären, wie akut die Beschwerden seien. Und welcher Art, ergänzt Köstner. Wer sich mit Suizidgedanken beschäftige, benötige sofort Hilfe. Wer seit Wochen unter Schlafstörungen leide, könne vielleicht noch etwas warten. Oft helfe es schon, ein Gespräch zu führen, einen Termin auszumachen oder an eine der Tageskliniken sowie Ambulanzen zu verweisen. Manchmal sei jedoch die sofortige Aufnahme notwendig.
Ziel: Neue
Perspektiven zeigen
All dies versuchen die vier Mitarbeiterinnen des telefonischen Aufnahmemanagements bereits bei der Anmeldung des Patienten herauszufinden. „Filtern“, nennt dies Köstner. Wenn sofort medizinische Hilfe notwendig sei, folge eine Vorstellung im psychiatrischen Aufnahmezentrum (PAZ). Dort erfolge dann eine erste Bewertung der Lage durch das Pflegepersonal, das beispielsweise den Blutdruck oder den Atemalkohol messe, danach durch einen Arzt oder eine Ärztin und die Aufnahme auf einer der Stationen des ISK, zum Beispiel auf einer der beiden Kriseninterventions-Stationen des Fachbereichs Allgemeinpsychiatrie. Hier würden dann Therapiepläne entwickelt und die Behandlung, etwa mit Psycho- oder Verhaltenstherapie und Medikamenten, beginnen, beschreibt Köstner den Ablauf.
Oft gelinge es schon innerhalb einer Woche, zu helfen und neue Lebensperspektiven aufzuzeigen. Das geschieht im gemeinsamen Neubau mit Romed, wo die Kriseninterventionsstation A3, die die höchsten Aufnahmezahlen im ISK aufweist, bereits eingezogen ist. Ein ansprechendes Umfeld in Zwei-Bett-Zimmern mit Nasszellen, das bei der Genesung unterstützend wirkt, wie der neue Chefarzt weiß. Köstner gilt auch als Experte für Therapieresistenz, also für psychische Erkrankungen, die schwer behandelbar sind, und für Neurostimulationsverfahren, die etwa durch Gehirnstimulanz Linderung erreichen können. Der gebürtige Oberfranke wollte eigentlich Facharzt für Innere Medizin werden, interessierte sich auch für die Rechtsmedizin, lernte in diesem Bereich in seiner Ausbildung die Psychiatrie kennen und fand hier das Fach, das ihn „am meisten faszinierte“, wie er sagt. Als es seine Frau beruflich Richtung Wasserburger Land zog, begann er als Facharzt am Inn-Salzach-Klinikum, eine Wahl, die er mit der „hohen Qualität“ des akademischen Lehrkrankenhauses begründet.
Hier habe er nicht nur seinen Traum-Arbeitsplatz bekommen, sondern auch eine „tolle Karrierechance“, sagt er. Auch privat hat seine Familie in Wasserburg ihr Glück gefunden. Köstner, Vater von zwei Kindern, entspannt am liebsten im Ruderverein WasserburgBabensham und bei den Babenshamer Bogenschützen. Diese sportlichen Betätigungen helfen dem ehemaligen Basketballer, sich fit zu halten.