„Aufgeben ist keine Option“

von Redaktion

Long Covid ist sowohl für viele Betroffene als auch Ärzte nach wie vor ein Rätsel. Denn die Erkrankung macht sich auf verschiedene Arten bemerkbar. Das weiß auch Dr. Isabella Eder, die im Wasserburger Klinikum neue Ansätze verfolgt. Mit Erfolg, wie die Geschichte eines Ehepaars aus Prien zeigt.

Wasserburg – „Ich bin ein sehr kreativer Mensch“, sagt Dr. Isabella Eder. Bei ihren Behandlungsmethoden greift die Ärztin in der Post- und Long-Covid-Tagesklinik in Wasserburg gerne zu verschiedensten Hilfsmitteln – die mitunter auch mal eher ungewöhnlich sind. Aber nicht nur bei der Behandlung ihrer Patienten beweist sie Kreativität. Auch um die Motivation aufrechtzuerhalten, hat Eder außergewöhnliche Ideen. So auch bei Stefan Anzer, Schwimmschul-Betreiber aus Prien. Ostern 2022 wurde er positiv auf Corona getestet. Symptome hatte er keine. Er wollte lediglich auf Nummer sicher gehen, ehe er seinen Kinder-Schwimmkurs gibt. „Der Verlauf war gar nicht schlimm. Ich hätte es eigentlich nicht gemerkt, wenn ich keinen Test gemacht hätte“, sagt Anzer. Ein bisschen Kratzen im Hals, ein wenig Schnupfen. Mehr war es nicht.

„Es gibt Leute, denen
geht es schlechter“

Dass die Infektion allerdings so drastische Folgen für sein alltägliches Leben mit sich ziehen könnte, damit hätte er nicht gerechnet. Wie ernst es wirklich ist, bemerkte Stefan Anzer dann, als er nach der Quarantäne zurück in die Arbeit kehrte. Bei seinem Job im Schwimmbad muss er regelmäßig in den dortigen Technikraum. „Da drin ist es sehr warm und stickig“, erzählt er. Normalerweise kein Problem für Anzer, der auch regelmäßig Herz und Lunge fürs Tauchen untersuchen lässt. Doch nach der Corona-Infektion hat er plötzlich Atemprobleme. Beim Lungenfacharzt wurde er dann mit einem Asthma-Spray und den Worten: „Es gibt Leute, denen geht es schlechter als Ihnen“, wieder nach Hause geschickt.

Acht Monate hat er schließlich abgewartet. So wie es ihm vom Facharzt geraten wurde. Doch er bemerkte, dass er weitere Hilfe benötigt und ließ sich in der kbo-Tagesklinik auf die Warteliste setzen. Bei Dr. Isabella Eder sind die Plätze begrenzt – und heiß begehrt. Im August 2023 konnte er dann dort mit der Therapie beginnen.

„Herr Anzer kam mit einem ausgeprägten Erschöpfungssyndrom, begleitet von Atemnot, zu uns“, sagt Eder. „Er war völlig am Ende.“ Anzer nickt. Auch seine Hoffnung auf Besserung war kaum mehr vorhanden. Daher schlug Eder eine Wette vor: Sie wettete, dass es Stefan Anzer wieder gut gehen wird, wenn er all die in der Tagesklinik gelernten Dinge anwendet. Die Hoffnung beim Schwimmschul-Betreiber war so gering, dass er sich darauf einließ.

Ein Wetteinsatz
wird eingelöst

Jetzt geht es ihm wieder besser – und er muss seinen Wetteinsatz einlösen. Anzers Frau Birgit gibt in der gemeinsamen Schwimmschule Meerjungfrauen-Schwimmkurse. Also Kurse, bei denen eine Monoflosse über die Beine gezogen wird. Und genau das blüht Stefan Anzer jetzt. Isabella Eder lässt es sich allerdings nicht nehmen, ihren Schützling zu begleiten und sich auch in eine Schwimmflosse zu werfen. Und trotz des humorvollen Ansatzes der Ärztin kann Anzer mit Gewissheit sagen: „Bei Frau Eder hatten wir das erste Mal das Gefühl, dass man ernst genommen wird.“

Besondere Beziehung
von Arzt und Patient

Beim Gespräch mit Dr. Isabella Eder und dem Ehepaar Anzer merkt man schnell, dass zwischen den dreien keine typische Arzt-Patienten-Beziehung herrscht. Das Zwischenmenschliche ist Eder besonders wichtig: „Ich habe die Gabe mitbekommen, dass ich genau weiß, wie ich auf welchen Patienten eingehen muss.“ Auch Anzer durfte das erleben. „Man wird dort abgeholt, wo man steht und von dort auf den richtigen Weg gebracht.“ Die Therapie in der Wasserburger Tagesklinik ist dabei sehr individuell und interdisziplinär aufgestellt. Neurologen, Psychologen, Pulmologen, Radiologen, Logopäden, Physiotherapeuten – bei Eder laufen alle Fäden zusammen.

Doch es braucht nicht immer die teuren medizinischen Geräte und hochkomplexe Technik, um den Menschen zu helfen. Bei einem Rundgang durch die Station öffnet Eder einen Schrank. Der Inhalt erinnert eher an den Spielzeugschrank eines Kindes. Puzzle, Bälle und einfache Spiele wie Memory befinden sich darin. Eder trainiert damit unter anderem den Umgang mit Zeitdruck, wie man ihn beispielsweise auch im Berufsleben erlebt. So gibt sie Zeitvorgaben für das Lösen eines Puzzles oder des Memorys. Aber: „Heilen können wir nicht“, sagt sie. „Wir können Symptome lindern und den Patienten Techniken mit an die Hand geben, die sie auch zu Hause nutzen können.“

Betroffene profitieren
von- und miteinander

Insgesamt gibt es fünf Plätze in der Tagesklinik. Diese werden immer zeitversetzt verteilt. „So können die Neuen etwas von denen lernen, die schon länger da sind“, erklärt Eder. Außerdem wird auch mit gemeinsamen Spielen und Co. therapiert. Dabei achtet die Ärztin darauf, dass Patienten mit unterschiedlichen Stärken zusammenarbeiten. So können sie voneinander profitieren. Wichtig dabei: Es gibt kein festes Schema, das bei jedem Betroffenen Erfolg verspricht. Was dem einen hilft, kann einem anderen vielleicht sogar schaden. Das hat auch Stefan Anzer bemerkt, als er mit dem in der Klinik Gelernten seiner Frau Birgit helfen wollte. Denn auch sie hat sich zur etwa selben Zeit mit dem Virus infiziert.

„Danach habe ich bemerkt, dass alles viel anstrengender war als vorher. Und meine Merkfähigkeit ist deutlich zurückgegangen“, erzählt Birgit Anzer. „Ich bin zum Beispiel vor dem Geldautomaten gestanden und habe meine PIN nicht mehr gewusst.“ Dabei hat sie auch die psychische Belastung bemerkt. Denn wenn alles plötzlich nicht mehr so geht, wie man möchte, kommt Frust auf. Doch von diesem Frust, den sie bei vielen Patienten bemerkt, lässt sich Eder nicht abschrecken. „Aufgeben ist keine Option“, sagt sie. „Man kann immer etwas machen. Immer.“

„Man muss ständig an
sich selbst arbeiten“

„Bei Frau Anzer hatte das Zwerchfell gar keine Aktivität mehr“, erzählt Eder. Es war komplett starr. Mit dem Training des Zwerchfells hat sich dann auch die Konzentrations- und Gedächtnisstörung schnell gebessert. Was besonders für Stefan Anzer am Anfang allerdings schwer zu fassen war: Die Krankheit kommt von einen auf den anderen Tag, ist aber nicht genauso schnell wieder weg. Doch auch diese Geduld mit sich selbst und seinem Körper konnte er in der Tagesklinik lernen. „Man muss ständig an sich selbst arbeiten. Aber wenn man Erfolge bemerkt, dann macht man es auch gerne.“ Und ein paar Erfolge konnte Stefan Anzer auch schon feiern.

In seiner Freizeit ist er nämlich Sportschütze. Doch auch hier kamen ihm die Virus-Folgen in die Quere. „Dabei muss man den Ruhepuls relativ niedrig halten. Außerdem sind Armtraining, Konzentration, Atemtraining und auch mentales Training enorm wichtig“, erklärt er. Doch aufgrund der Erkrankung konnte er kein Muskel- und Konditionstraining betreiben. Und auch Puls und Atmung wurden zum Problem.

Wieder zurück
am Schießstand

Doch seit der Behandlung in der Tagesklinik ist Anzer wieder zurück am Schießstand – und hat sogar schon einen Titel geholt. „Was sind wir nochmal?“, fragt ihn Dr. Eder. „Bayerischer Herbstmeister“, sagt Anzer mit einem stolzen Lächeln. In Kürze findet die deutsche Meisterschaft im Pistolenschießen statt, wo er ebenfalls antreten wird. Im Gespräch merkt man deutlich, wie stolz Eder auf ihre Schützlinge ist. Man gewinnt den Eindruck, dass es nicht nur Patienten für sie sind. Mehr Freunde, denen sie den Weg zurück in ein positives Leben weist.

So entstand die Idee einer Long-Covid-Tagesklinik

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