Beschuldigter kollabiert im Gericht

von Redaktion

Tag zwei des Prozesses rund um das Sicherungsverfahren für einen dementen Mann (93) am Landgericht Traunstein. Ihm wird vorgeworfen, in einem Seniorenheim einen Zimmergenossen getötet zu haben. Am Dienstag musste der Notarzt anrücken.

Traunstein/Altlandkreis Wasserburg – Es ist und bleibt ein ungewöhnlicher Fall für die fünfte Strafkammer des Landgerichts Traunstein: Am Tag zwei im Prozess rund um das Sicherungsverfahren von B. (93), müssen sogar der Rettungsdienst und Notarzt anrücken. Die Chronologie der Ereignisse.

Angeklagter gilt
als schuldunfähig

Hintergrund der Verhandlung: ein Tötungsdelikt. Nach Überzeugung von Staatsanwalt Christian Merkel, soll der Beschuldigte B. Ende Januar den Mitbewohner K. (84) des gemeinsamen Zimmers in einem Seniorenheim im Altlandkreis Wasserburg getötet haben. Der 93-Jährige ist stark dement, gilt als schuldunfähig. Die Verhandlung bezieht sich daher lediglich auf die Frage, ob B. eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt und deshalb gesichert untergebracht werden muss. Am zweiten Verhandlungstag sollte es ursprünglich ruhig zugehen. Einige Pflegekräfte, ein Polizist, die Nichte und der Betreuer des Beschuldigten sind als Zeugen geladen. Der Vorsitzende Richter Volker Ziegler fragt viel nach dem Charakter von B. – er selbst hatte bei einem Befragungsversuch am Montag, 26. August, keine klaren Angaben zur eigenen Biografie machen können. Wie schon tags zuvor beschreiben ihn die Pflegekräfte als „ruhig“ und „unauffällig“.

„Galoppierender Krankheitsverlauf“

Die Nichte sagt aus, er sei ihr „Lieblingsonkel“. Humorvoll, liebenswert und warmherzig sei er gewesen, bis er schließlich vor knapp eineinhalb Jahren an Demenz erkrankt sei. Sie spricht von einem „galoppierenden Krankheitsverlauf“. Bei jedem Besuch habe sie die negative Entwicklung von B. aufs Neue schockiert.

Am Abend des 22. Januar, dem Todestag von K., hätte sie ihn noch besucht. Sie habe den Umzug ihres Onkels vorbereiten wollen. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem offiziellen Vormund des 93-Jährigen, hätte sie ein Heim für B. näher an ihrer Heimat gefunden. Bei einem gemeinsamen Essen an jenem Abend sei ihr Onkel sehr in sich gekehrt gewesen, habe kaum auf Fragen reagiert. Sie habe sich noch erkundigt, wie es mit dem Mitbewohner K. laufe. Ihr Onkel habe geantwortet: „Er legt sich zu mir ins Bett und beißt mich.“

Ob dies wirklich so war, ist schwer nachzuvollziehen. Tatsache ist, von Bissen des Mitbewohners hatte B. auch der Gutachterin Dr. Susanne Lausch berichtet. Am Tattag will auch der geladene Polizist Bissspuren am Handrücken des 93-Jährigen entdeckt haben. Unter den Pflegekräften galt K. allerdings als wenig aggressiv. Im Gegenteil: Auch das mutmaßliche Opfer beschreiben die geladenen Pfleger und Pflegerinnen als „ruhig“ und „unauffällig.“ Streit zwischen den beiden Mitbewohnern habe es nicht gegeben. „Weder Beschimpfungen noch Beleidigungen sind mir bekannt“, sagt eine Pflegerin. „Im Gegenteil, ich hatte eher das Gefühl, sie würden sich verstehen. Es waren beides sehr in sich gekehrte Bewohner, die gerne ihre Ruhe hatten.“

Auch den Abend des mutmaßlichen Tattages beschreibt sie als „ruhig“, bis B. schließlich zum Stationszimmer kam. Ein ungewöhnliches Verhalten für den 93-Jährigen, sie sei sofort zu ihm gegangen und habe Wunden am Handrücken und Ellenbogen festgestellt. „Ich habe ihn gefragt, ob er gestürzt ist“, erzählt die Pflegerin. „Für mich sah es so aus oder als wäre er irgendwo hängen geblieben.“

„Habe ihn gebissen. Habe ihn zamm biss’n“

B. habe dies verneint. Er sei aufgeregt gewesen. „Ich hatte das Gefühl, er wusste, dass er etwas getan hatte, aber nicht, was er getan hat“, erzählt die Pflegerin. Schließlich habe er ihr mehrfach gesagt: „Ich habe ihn gebissen. Ich habe ihn zamm biss‘n.“ Beim Blick im Zimmer sei sie schließlich auf den blutigen K. gestoßen. Neben der Aussage der Nichte ist diese Beschreibung des Todestags von K. die gehaltvollste Zeugenaussage in dieser ersten Stunde der Verhandlung. Sonst sind wenig neue Erkenntnisse dabei. Einer Urteilsverkündung bereits am zweiten Prozesstag – eigentlich sind vier Verhandlungstage angesetzt – scheint nichts im Wege zu stehen. Bis schließlich etwas passiert, das bei einem so betagten Beschuldigten kaum verwunderlich scheint.

Beschuldigter erleidet
einen Schwächeanfall

Der 93-Jährige B. sackt in seinem Stuhl zusammen und wacht nicht mehr auf, ist nicht ansprechbar. Schwächeanfall, wie der herbeigerufene Notarzt feststellt. Der Rettungsdienst bringt ihn ins Krankenhaus.

Die Verhandlung wird etwas mehr als eine Stunde lang unterbrochen. Schließlich entscheidet die Kammer, das Verfahren in Abwesenheit von B. fortzusetzen. Ein Vorgehen, das im Sicherungsverfahren nur möglich sei, wenn die Anwesenheit des Beschuldigten als gesundheitsgefährdend für diesen eingestuft werde, so Vorsitzender Richter Ziegler. Im Normalfall sei dessen Anwesenheit vorgeschrieben. Im Vorfeld sei ihm zudem die Verhandlungsfähigkeit von B. ärztlich bestätigt worden. „Es liegt uns allerdings fern, dieses Verfahren durchzupeitschen“, so Ziegler. Am 9. September soll die Verhandlung fortgesetzt werden, dann ohne den Beschuldigten B.

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