Wasserburg – Werden in der Stiftung Attl Beschwerden über mutmaßliche Misshandlungen gegenüber Menschen mit Behinderungen nicht ernst genommen? Davon ist zumindest eine ehemalige Mitarbeiterin überzeugt. Mehrfach, sagt die Frau, die anonym bleiben möchte, deren Name aber der Redaktion bekannt ist, habe sie die Stiftung auf Beobachtungen hingewiesen, sei aber nicht weitergekommen. „Es hieß immer wieder, wir machen was, passiert ist aber auch nach Monaten nichts“, so die Einschätzung der Frau. Der Weg zur Presse sei für sie die letzte Option gewesen. „Aber mir ist es wichtig, dass auch Angehörige der betroffenen Personen erfahren, was los ist.“
Beschwerden
an Vertretung
weitergegeben
Speziell gehe es um eine offene Wohngruppe der Stiftung, in der sie zwischen April und Juli beschäftigt gewesen sei. Immer wieder sei es in dieser Gruppe zu Körperlichkeiten vonseiten der Gruppenleitung gegenüber den Bewohnern kommen, so die ehemalige Mitarbeiterin. Mehrfach habe sie gesehen, wie die Leiterin Personen geschubst habe. Speziell gegenüber einem Bewohner sei es wiederholt zu unangemessenen Verhalten gekommen.
Da der Betroffene Probleme mit dem Toilettengang habe und oft nicht bemerke, dass er das WC aufsuchen müsse, habe es sich in der Gruppe eingebürgert, den Bewohner teils bis zu 45 Minuten auf der Toilette einzusperren und auch dann nicht aus dem Raum zu lassen, wenn er rufe und gegen die Tür hämmere, so will es die ehemalige Mitarbeiterin beobachtet haben.
Mehrfach sei sie Zeugin geworden, wie die Gruppenleitung den Bewohner angebrüllt und angeschrien habe. Auch habe sie miterlebt, wie sie ihn am Arm gepackt und in sein Zimmer gezerrt habe, mit solcher Gewalt, dass er blaue Flecken davon getragen habe. Einmal habe sie gesehen, wie sie ihm einen Tritt gegen den Hintern gegeben habe, da er nicht schnell genug sein Zimmer betreten habe.
Zudem weise der Mann regelmäßig auffallend viele Rasierschnitte auf, wenn die Gruppenleitung Dienst habe. „Der Bewohner hat wirklich panische Angst vor ihr. Er traut sich kaum noch aus dem Zimmer“, sagt sie. Sie bewertet die Vorfälle als „Misshandlungen“. „Es ist ein Machtspiel, was hier passiert.“
„Schlimm“ sei dies alles. Fast genauso schlimm sei der Umgang der Stiftung Attl mit ihrer Beschwerde, beanstandet sie. Vor Wochen habe sie sich mit ihren Beobachtungen an die Mitarbeiter-Vertretung gewandt. Auch eine Kollegin habe sich über die Gruppenleitung dort beschwert, mit, wie sie wisse, beinahe deckungsgleichen Aussagen. „Dort hieß es: Wir kümmern uns“, sagt die Frau. Das seien aber nichts als „leere Floskeln“ gewesen, findet sie.
Auch der Bereichsleitung habe sie von den Problemen in der Gruppe erzählt, auch hier habe man versprochen, sich zu kümmern. Wochenlang habe sie nichts gehört, bis schließlich zu einem „Abschlussgespräch“ mit allen Beteiligten, also Mitarbeitern und Gruppenleitung, geladen worden sei. Dort sei verkündigt worden, dass der betroffene Bewohner in eine andere Gruppe versetzt werde, mehr aber auch nicht. „Erst da ist mir klar geworden, das war’s jetzt. Das Ganze ist für die Stiftung damit abgeschlossen“, erzählt die Mitarbeiterin. Für sie „nicht tragbar“, zumal der betroffene Bewohner jetzt, mehrere Wochen nach dem Abschlussgespräch, noch immer in der gleichen Gruppe wohne. „Nicht mal diese Lösung haben sie also umgesetzt“, kritisiert sie. Das sei verantwortungslos. Aufgrund dessen habe sie schließlich auch gekündigt, obwohl sie eigentlich lieber in der Stiftung Attl geblieben wäre.
In einem Pressegespräch mit der Wasserburger Zeitung bestätigen der Vorsitzende der Stiftung, Jonas Glonnegger, und Herbert Prantl-Küssel, verantwortlich für den Bereich Wohnen, dass ihnen der Vorfall bekannt sei. Er sei aufgearbeitet und der Heimaufsicht gemeldet worden. Aus datenschutzrechtlichen Gründen dürfe die Stiftung nicht näher darauf eingehen und sich im Detail äußern. Aussagen zu einzelnen Vorfällen könnten nicht gemacht werden, um sowohl die betreuten Personen als auch das Personal zu schützen. Bedauerlich sei, dass die ehemalige Mitarbeiterin die Aufarbeitung des Falls wohl nicht genügend mitbekommen habe, weist die Stiftung den Vorwurf, nicht angemessen reagiert zu haben, zurück. „Uns sind keine Fälle bekannt, in denen eine entsprechende Bearbeitung oder Meldung an die Heimaufsicht unterlassen wurden.“
Dokumentation und Untersuchung möglicher Anschuldigungen gegen das Betreuungspersonal würden anhand eines anerkannten Verfahrens abgewickelt. Dieses sei Teil des Beschwerdemanagements der Stiftung.
Die Beschwerde an sich begrüßen Prantl-Küssel und Glonnegger. „Wir sind bemüht, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Mitarbeiter ohne Furcht Vorfälle melden können, damit sie behoben oder idealerweise vermieden werden können“, so Prantl-Küssel. Denn um die bestmögliche Betreuung zu gewährleisten, sei man darauf angewiesen, dass Mitarbeiter, Angehörige und Bewohner Erfahrungen melden würden. „Es wäre ein Fehler, wenn sie es nicht tun würden“, sagt Prantl-Küssel. Daher sei er sehr froh, dass die ehemalige Mitarbeiterin in diesem Fall den Mut gefunden habe, ihre Beobachtungen mitzuteilen. Dafür gebe es verschiedene Wege, unter anderem über eine anonyme Whistleblower-Anzeige über eine eigene benutzerfreundliche Software-Lösung in den persönlichen EDV-Anwendungen. Die Stiftung habe außerdem eine Meldestelle, das Personal könne sich jederzeit an die Mitarbeitervertretung wenden. Aber auch Bewohner und Angehörige könnten sich an Beiräte und Heimaufsicht wenden.
Bei 450 betreuten Personen in 50 Gruppen gebe es im Jahr etwa 20 bis 30 Beschwerden von unterschiedlichen Qualitäten in der Stiftung Attl, darunter würden beispielsweise Angaben fallen über eine angeblich fehlende Qualität beim Essen, aber auch Meldungen über mutmaßliche Übergriffe kämen vor. „Im Vergleich zu anderen Einrichtungen unserer Größe haben wir wenig Beschwerden“, so Glonnegger. Man sei bemüht, die Meldesysteme weiter auszubauen, denn dass Fehler in der Betreuung und im Arbeitsalltag passieren könnten, lasse sich nicht ausschließen. „Das gehört zum Menschsein dazu“, so Glonnegger.
Vorstand von Attl: „Vorfällen wurde nachgegangen“
Allen Vorfällen werde nachgegangen und gegebenenfalls würden sie an die Heimaufsicht gemeldet, wie auch im vorliegenden Fall geschehen. Lösungen der Probleme könnten allerdings unterschiedlich aussehen, darunter falle beispielsweise das Hinzuziehen von Fachdiensten, um die konfliktbehaftete Situation zukünftig zu entschärfen und ähnliche Vorfälle zu vermeiden. „Unsere Mitarbeiter haben eine schwierige Aufgabe“, sagt Glonnegger. Insbesondere in den geschlossenen Wohngruppen könnten sie auch körperlichen Angriffen durch die Bewohner ausgesetzt sein. „Wir müssen unterscheiden, ob jemand in einer Situation falsch handelt, beispielsweise aus Gründen der Überforderung oder in böswilliger Absicht. Im letzteren Fall trennen wir uns dann auch von dem Mitarbeitenden“, so Glonnegger.