Auswege aus der Überforderung

von Redaktion

Für Angehörige von Demenzkranken gibt es zahlreiche Hilfsangebote

Wasserburg – „Wir sehen viele Patienten sehr spät, oft erst in einem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung“, stellt Waltraud Wolfegger, Sozialpädagogin am Zentrum für Altersmedizin am kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg, fest. Sie berät und unterstützt Angehörige im oft schwierigen Alltag mit Demenzkranken und unterstützt sie bei der Organisation von Entlastungsmöglichkeiten. Nach ihren Angaben gibt es viele Hilfsangebote, viel mehr, als allgemein vermutet werde. Angehörige sollten sie nutzen und sich Hilfe holen, bevor sie in den Strudel der Überforderung rutschen, appelliert sie.

Der Hausarzt spielt eine wichtige Rolle

Eine wichtige Rolle spielen in diesem Netzwerk die Hausärzte, ergänzt Dr. Mai Aumüller-Nguyen, Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft Südostbayern. Der Verein widmet sich der Selbsthilfe für Betroffene und Angehörige. Und rät ebenfalls dringend dazu, sich frühzeitig professionelle Hilfe zu holen. Entstehe der Verdacht, ein Angehöriger oder eine Angehörige seien besorgniserregend kognitiv eingeschränkt, sollte dies nicht unter dem Vorwand „ach, der oder die ist halt alt“ unter den Tisch gekehrt werden, sondern das Gespräch mit dem Hausarzt gesucht werden. Im Rahmen ambulanter Angebote wie der Gedächtnissprechstunde am Inn-Salzach-Klinikum könne dann abgeklärt werden, ob es sich um eine normale altersbedingte Vergesslichkeit handele oder um eine beginnende Demenz-Erkrankung. Manchmal sind nach Erfahrungen der Chefärztin am kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg im Stadtteil Gabersee, Professorin Dr. Janine Diehl-Schmid, auch somatische Erkrankungen Schuld an Auffälligkeiten: Eine Schilddrüsenunterfunktion oder auch Krankheiten von Leber oder Niere könnten unter anderem der Grund für ein Nachlassen der kognitiven Fähigkeiten sein, nennt sie als Beispiel. Deshalb sei eine Blutabnahme mit Analyse der diesbezüglichen Parameter der erste Schritt zur Abklärung. Nicht immer stecke hinter einer Vergesslichkeit oder Persönlichkeitsveränderung eine Demenz.

Eine Hürde bei der Diagnosestellung ist nach Erfahrungen von Wolfegger oft auch die Angst vor dem Arzt- oder Klinikbesuch. Diese Schritte würden häufig lange herausgeschoben. Angehörige würden beim Drängen auf einen Termin oft einen unpopulären Rollenwechsel durchleben: vom Kind zum auf Klärung drängenden Erwachsenen, der in die Autonomie des anderen, meist Vater oder Mutter, eingreife. Auch das sei eine Herausforderung, ebenso wie die Tatsache, dass bei Menschen mit einer Demenz die Einsicht in die eigene Krankheit oft verloren gehe. „Patienten vergessen, dass sie vergessen“, bringt es Diehl-Schmid auf den Punkt.

Im Zentrum für Altersmedizin werden nach ihren Angaben schwerpunktmäßig betagte Menschen behandelt, die an demenziellen Erkrankungen leiden. Die Klinik sei oft eine Schnittstelle zur Langzeitpflege: Betroffene, die sich selbst oder ihre Umwelt durch mittel- bis schwere Verhaltensauffälligkeiten wie Aggressionen, starke Unruhe oder Orientierungslosigkeit belasten würden, fänden hier medikamentöse und therapeutische Hilfe. Stabilisiert sollen sie danach zurück zu ihren Familien kommen oder in ein Seniorenheim. Auch hier ist die Versorgung Demenzkranker aus vielen Gründen „oft nicht adäquat“, wie Aumüller-Nguyen von der Alzheimer Gesellschaft bedauert. Demente Menschen brauchen Halt, bestmögliche Orientierung und Vertrautheit. Dafür biete sich das System der Bezugspflege beziehungsweise -betreuung an. Es fehle nicht selten an der Umsetzung der speziellen Konzepte für Demenzpatienten, das gelte übrigens auch für Allgemeinkrankenhäuser. Im Inn-Salzach-Klinikum ist das eigens eingerichtete Zentrum für Altersmedizin auf die besonderen Bedürfnisse von Demenzkranken ausgerichtet. Da sie die größte Patientengruppe darstellen, werden auch die räumlichen Bedingungen im derzeit entstehenden Neubau an diese Thematik angepasst – etwa durch ein innenarchitektonisches Konzept, das die Orientierung erleichtert, berichtet Diehl-Schmid. Menschen mit fortgeschrittener Demenz benötigen in der Regel eine 24-Stunden-Betreuung. Das ist vor allem nachts ein Problem, weiß Wolfegger von Gespräche mit Angehörigen. In den Abend- und Nachtstunden seien Patienten oft besonders aktiv und unruhig. Tagsüber stellt auch Diehl-Schmid fest, dass es auf den Stationen im Zentrum für Altersmedizin oft sehr ruhig sei, „nach 18 Uhr knistert es oft regelrecht“.

Unruhe in der
Nacht ist ein Problem

Unruhe und Reizbarkeit nähmen dann deutlich zu. Es fehle außerdem trotz deutlichen Ausbaus der Versorgung nach wie vor an Tages- und Kurzzeitpflege zur Entlastung von Angehörigen, bedauert Aumüller-Nguyen.

Wichtig sei die frühe Diagnose, eine spezialisierte Beratung und eine langfristige Begleitung der Erkrankten und ihrer Angehörigen, betonen Diehl-Schmid, Wolfegger und Aumüller-Nguyen. „Teilen Sie die Last, damit auch Sie auftanken können“, lautet ihr Appell.

Das Zentrum für Altersmedizin am kbo-Inn-Salzach-Klinikum

Artikel 6 von 11